Eine Maschine, die Gedanken liest. A 8 Bit History
Intro: Turings Wette
Es ist bekanntermaßen wahr, daß die Mathematik, insbesondere
die
Wahrscheinlichkeitstheorie, dem Wetten mehr verdankt, als da Wetten
der
Mathematik schuldet.
Alan Mathison Turing
Shannons toys: Baukasten zu einer Theorie der Kommunikation
Es geht um Shannons toys. Es geht also um die Beschaffenheit von Forschungsinstitutionen oder Labyrinthe, Netzwerke, Analysen von Kryptogrammen oder Psychen von Gegenspielern. Denn Shannons Spielmaschinensortiment ist so umfangreich, wie sein Baukasten zu einer Theorie der Kommunikation.
Auch wenn die Geschichte des Baukastens noch nicht geschrieben ist,
sie fiele wohl möglich zusammen mit einer Archäologie von Sozialisation
in Serialitäten und Modularitäten, die dieses und nur dieses
Jahrhunderts sich vorbehielt. In dem Jahrhundert davor scheiterten die
großen Denker analoger und diskreter Rechenmaschinen und der Royal
Society, Lord Kelvin und Charles Babbage, vor allem noch an der Handhabe
dienstbarer Teile. Doch es hatte kaum eine Generation gebraucht und allein
mit dem Griff in einen kindergerechten Baukasten konnte Douglas Hartree
vor dem erlauchtem Kreis der Royal Society demonstrieren, wie analoge Rechenmaschinen
mit überraschender Genauigkeit zum Laufen zu bringen sind.[1]
Somit konnte Frau Shannon, die ihrem frisch angetrauten Mann den vielteiligsten
Baukasten, der für Geld zu haben war, zum Geschenk machte, über
alle Zweifel an der Höhe und Art der Investition erhaben sein: "it
was fifty bucks and everyone thought I was insane!"[2].
Shannons Symbolisierung von Schaltzuständen
Seit Claude Elwood Shannons bahnbrechender Magisterarbeit [3]
von 1938 bedürfen projektierte Schaltungen dann ihrer materiellen
Basis nicht mehr oder besser: zuerst einmal nicht. Der Zeit davor blieb
nur an den Schaltungen selber zu manipulieren und d.h. try and error übrig.
Erst Shannons Symbolisierung von Schaltzuständen mittels Boolescher
Algebra räumt ein, daß Schaltungen auf dem Papier entworfen
werden können. Damit ging einher, daß komplexe Schaltungen in
einfachere überführt werden und letztlich dann einfachere Schaltungen
komplexere zu entwickeln vermögen. (Wolfgang Schäffners Beitrag
handelt von dem diskursiven Netzwerk, das eine solche Topologie der Netzwerke
erlaubte.)
Shannons Kommunikationstheorie: ein Maß für Information
Shannons Informationstheorie oder - wie es angestanden zu übersetzen
hätte - Kommunikationstheorie schaffte dann noch ein Maß für
Information anzugeben, wenn der Quelle, dem Kanal und der Nachrichtensenke
ein Kontingenzrahmen zugebilligt ist. Seitdem muß mit Information
auch noch gerechnet werden, wenn Schaltungen ausfallen oder Kanäle
gestört sind. Daß dieses Dispositiv aus dem Zweiten Weltkrieg
hervorging, liegt auf der Hand.
Bell Telephone Company
Lacan-Leser werden von all dem längst wissen, selbstredend ohne daß sie es wissen, schreibt doch Jacques Lacan anstelle von Claude Shannon einfach von seiner Institution:
Für die Bell Telephone Company ging's darum, zu sparen, das heißt die größtmögliche Anzahl von Kommunikationen über einen einzigen Draht laufen zu lassen. [4]
Wenn Shannon zuweilen die endlosen Flure seiner Arbeitsstätte,
kurz die Bell Labs, für Spazierfahrten auf einem Einrad nutzte und
gleichzeitig noch Bälle jonglierte, dann machte ihm das wohl auch
deshalb niemand zum Vorwurf, weil er sich Arbeit für Zuhause aufhob.
Die Maschinen, die der Garage des Theoretikers entsprangen, wurden zuweilen
zum Gegenstand von Fachkongressen - in die Archive seines Arbeitgebers
fanden sie aber nicht.
Theseus ist eine künstliche Maus
So wird auch Theseus, noch in einer Garage am Mystic Lake seinen Platz
haben. Theseus ist eine künstliche Maus, die aus einem frei konfigurierbaren
Labyrinth herausfindet. Anzunehmen, daß Shannon mit Maus und Labyrinth,
forschende Subjekte und ihren institutionellen Apparat nachbaute, mag erlaubt
wenn auch nicht sehr schmeichelhaft sein. Denn alle Intelligenz scheint
dem Labyrinth internalisiert zu sein, dessen Extension die Maus ist. Die
Konfiguration ist dann die Umkehrung dessen, was man mit Marshall McLuhan
vielleicht festzustellen geneigt ist.
Shannon und Vannevar Bush
Shannons Mentor Vannevar Bush fand immer wieder zum Begriff des Labyrinths,
des maze [5], wenn es die Emanationen an vorher nie
dagewesen Forschungsstätten eines zweiten Weltkriegs zu beschreiben
galt. Aber Bush hatte Shannon und anderen, Lösungen zur Bewältigung
von Labyrinthen zu erbringen, schon in den 30er Jahren aufgegeben, die
mit dem Rapid Selector versuchsweise liefen.
Shannons Voraussagemaschine
Mir bleibt eine Maschine Shannons, eine Voraussagemaschine, mit einem
Speicher für das Gedächtnis seiner Opponenten, gesondert vor-
und anzustellen. Ein Kollege Shannons Dave Hagelbarger, der mit Shannnon
die Passion für zukunftsweisende Basteleien teilt, hatte eine Maschine
gebaut, deren Fähigkeit zur Prophezeigungen ihrem Name zunächst
alle Ehre antat. Denn SEER (SEquence Extrapolating Robot) gewann in den
Bell Labs bei dem Spiel Grad/Ungrad von annähernd 10.000 Partien gegen
menschliche Opponenten weitaus häufiger, als einem Zufall zuzurechnen
wahrscheinlich ist.
Edgar Allan Poes Entwendeter Brief
Um das Spiel unter medientechnischen Bedingungen zu rekonstruieren,
wird Jacques Lacan schreiben: Ein kleiner Text kommt uns zu Hilfe, von
Edgar Poe, auf den, wie ich festgestellt habe, die Kybernetiker große
Stücke halten. [6] Hagelbarger und Shannon, die
auf Edgar Allan Poes Entwendeten Brief schon im ersten Absatz ihrer Beschreibungen
der Grad oder Ungrad spielenden Maschinen verweisen, empfehlen sich somit
als die Kybernetiker, von denen Lacan spricht. (Ein Lacansches Geheimnis
mehr wird dann aber bleiben, denn Lacan macht seine Feststellung zu einem
Zeitpunkt, als weder über Shannons Mind-Reading(?)Machine, noch über
Hagelbargers SEER eine Zeile publiziert worden war.)
Die Mind-Reading(?)Machine
Hagelbargers Maschine war eingerichtet, die Wahl zweier möglichen
Alternativen eines Opponenten zu antizipieren. Als sie ihre Siegesgewißheit
unter Leuten in den Bell Laboratories gezeigt hatte, setzte Shannon ihr
eine Maschine entgegen: a Mind Reading(?)Machine. Shannon räumte der
Mind-Reading(?)Machine bei modifizierter Strategie nur ungefähr halb
soviele Relais als Speicher ein, wie sie in SEER zu finden waren. Darauf
entbrannte ein Streit unter Shannon und Hagelbarger, welche der Maschine
nach der besseren Strategie verfahre; Ein Streit der nur aus der Welt zu
schaffen war, indem man ihn auf die beiden Maschinen übertrug. Die
Mind-Reading(?)Machine ist also das Produkt des heute wohl klassischen
Falls, der eintritt, wenn nur noch Maschinen über Maschinen Auskunft
zu geben vermögen. Die Maschinen wurden verkoppelt, wobei die Ausgabe
einer der beiden Maschinen noch invertiert werden mußte, um die Asymmetrie
beider Zielsetzungen wieder herzustellen. Das Ergebnis war, daß Shannons
Maschine noch ein wenig deutlicher gegen SEER gewann, als diese gegen ihre
menschlichen Opponenten.
Strategie beider Maschinen
Die Strategie beider Maschinen ist prinzipiell dieselbe. Zunächst
wird eine Spielsituationen im Speicher erfaßt. Beispielsweise vermerken
die Speicherzustände, daß ein Spieler sich für die gleiche
Wahl wie im vorangegangenen Zug entscheidet, verliert und daraufhin erneut
die gleiche Wahl macht. Oder aber: ein Spieler setzt auf die hinsichtlich
des letzten Zugs komplementäre Option, gewinnt und bleibt bei der
zuletzt gespielten Wahl. Hochgerechnet sind acht solcher Spielsituationen
denkbar, die demnach mit drei Relais respektive 3-Bit zu erfassen sind.
Die Maschine, wie man einsehen kann, speichert alles nur nicht das Datum,
das das Ergebnis symbolisiert. Sie speichert nur Differenzen und ihre Wiederholungen,
also ob Züge alterniert wurden, ob aufgrund der Alternation oder Stringenz
gewonnen wurde oder nicht.
Kontrolle: emergency
Von der Seite der Kontrolle und Sicherheitsmechanismen haben die ersten
digitalen special-purpose-computer ihre Notwendigkeit erlangt, als ob es
den berüchtigten Satz zu bestätigen gälte, daß Kontrolle
hat, wer im Falle von emergency entscheidet (und sei es aufgrund eines
dürftigen Speichers weniger bits). Auch die ersten digitalen Schaltungen,
die Shannon zur motorischen und servomechanischen Kontrolle von Bushs Differential
Analyzer besorgte, waren ja von dieser analogen Rechenmaschine streng geschieden.
Mit der Mächtigkeit in der Analysis des Differential Analyzer, etwa
Differentialgleichungen sechster Ordnung zu lösen, sollte es sobald
kein digitaler Rechner aufnehmen. Aber es war ja gerade die neue Basis
diskreter Schaltzustände, die zur Entscheidung drängte, wie bei
der Überführung eines analogen Systems (und hieße es Natur)
in ein anderes analoges die zwangsläufige Differenz systematisch zu
fassen ist. Turings legendäre Arbeit zum Entscheidungsproblem [7]
steht dafür ein. Shannon vollzog zeitgleich den Schritt des Zusammenfalls
von Schrift und Zahl in der Praxis einer von Bush formierten Forschungsfront,
die nun seine Schaltungstechnik neben dem Differential Analyzer auch auf
die Wortverarbeitung des Rapid Selectors angewendet wissen wollte.
Spielsituationen, Strategie, Zufall
Ob Verfassungstheoretiker oder Systemtheoretiker es bezeugen, fundamentaler
ist vermutlich nicht was entschieden wird, sondern daß entschieden
wird und werden kann. Spätestens seit Lacan steht der Satz, daß
das Spiel "in der Aktualität gründet, die in ihrer Gegenwart
das zweite Futur hat." [8] Ihr notwendiges und konjunktivisches
Plusquamperfekt gründet die Maschine indes auf Kontingenzen. Es ist
nachvollziehbar, daß drei Züge infolge nötig sind, damit
überhaupt eine der acht möglichen Spielsituationen zustande kommt.
Erst wenn dieselbe Situation zweimal eingetroffen ist, wird die Mind-Reading(?)Machine
bei der dritten Wiederholung der Spielsituation eine Strategie in Anschlag
bringen, die nicht dem Zufall geschuldet ist. Entscheidet der Spieler nun
anders, löscht die Maschine ihren Speicher für die Geschichte
des Spielverlaufs und setzt einen Zähler wieder auf Eins - bei Umkehrung
des Vorzeichens. Solange dieser Zähler nicht bis zu einer Zwei mit
positiven oder negativen Vorzeichen vorgerückt ist, spielt die Mind-Reading(?)Machine
rein zufällig, was keinem Menschen gestattet ist. Dem Spieler ist
aber sehr wohl gestattet, der Maschine zu ihren Zufall zu verhelfen. Denn
jedesmal, wenn er einen Zug macht, wird an einem Zufallselement ein momentaner
Wert abgenommen, der alle 1/10 Sekunde alterniert. Seit Emil Du Bois-Reymond
gilt das Diktum, daß Reize für ihre Perzeption eben eine 1/10
Sekunde benötigen. Medien hausen bekanntlich gerne hinter solchen
Zeitfenstern, in die keine menschliche Kontrolle hineinreicht.
zufällige Muster erzeugen Redundanzen
Der Unterschied zu Hagelbargers Maschine nun ist, daß diese schon
bei einer ersten Wiederholung der Wahl des Gegenspielers nach besagten
Spielsituationen mit höherer Wahrscheinlichkeit diese Wahl übernimmt.
Auch minimiert sie sukzessive den Zähler, so daß ein einmaliges
Alternieren des Spielers nach besagten Spielsituationen weniger ins Gewicht
fällt. Koppelt man nun die beiden Maschinen, wird Hagelbargers SEER
mit einer größeren Trägheit an den durch Zufall ins Spiel
gekommenen Mustern der Mind-Reading(?)Machine festhalten. Ihre Reaktion
auf diese zufälligen Muster erzeugen wiederum Redundanzen. Die Redundanzen
sind ein gefundenes Fressen für die Mind-Reading(?)Machine, die einer
Eskalation der Rückkopplung nur durch ihre radikale Speicherlöschung
entgeht und sie überlegen macht.
zufällige Sequenzen
Die Maschinen, die anfänglich nur zufällige Sequenzen produzieren
können und auch weiterhin ohne Ende produzieren könnten, beginnen
durch das Rauschen mehr und mehr ihre Konfigurationen zu artikulieren.
Vorausgesetzt ist, daß die Strategien, die Sequenzen aus dem Bit-Strom
bilden und in Ketten einer symbolischen Ordnung bringen, in den Maschinen
unterschiedliche
sind. Um es anders und mit den Worten von Lacan zu sagen:
Von Anfang an und unabhängig von jeder Verknüpfung mit irgendeinem Band als real unterstellter Kausalität spielt das Symbol bereits und erzeugt durch sich selbst seine Notwendigkeiten, seine Strukturen, seine Organisationen. [9]
Hagelbarger erklärte den Anstoß für den Entwurf seiner
Maschine damit, daß mit der Antizipation von Sequenzen ein Musikkompositionsautomat
denkbar wurde. So schön wie sich SEER von dieser Anwendung auch ableiten
mag, so sehr steht dem eine Vorgeschichte entgegen.
Theorie der Gesellschaftsspiele
John von Neumann schrieb 1927 eine Theorie der Gesellschaftsspiele [10], also in dem Jahr, das der amerikanischen Gesellschaft den ersten schwarzen Freitag vor der Weltwirtschaftskrise bescherte. Das erste Szenario, daß von Neumann in dieser Schrift entwirft, scheint noch eine Verbeugung vor Simon Stevin zu sein, an dessen doppelter Buchführung die Neuzeit ihre ebenso neue Ökonomie ablas. Derartige Spiele faßte von Neumann als Zwei- Personen-Nullsummenspiel zusammen:
Genau der Betrag den der eine gewinnt, verliert der andere. Keine
Inflation, keine Steuern, keine Courtagen, keine Schutzgelder, keine Absprachen.
Die Checksumme Gewinn und Verlust liefert definitionsgemäß eine
Null ohne einen Wert auf der noch so abgerücktesten Nachkommastelle.
Während von Neumann als zweites Beispiel eines Zwei-Personen-Null-Summenspiels
das Spiel Stein/Papier/Schere in die zu initierenden Notationen schreibt,
bleibt das erste Beispiel ohne Anschauung. Wollte man dieses Beispiel aber
als Spiel begreifen, dann wäre es Grad oder Ungrad. Die Schrift, die
als Inauguration der Spieltheorie gesehen wird, spielt also mit Grad oder
Ungrad auf.
von Neumann: Theory of Games and Economic Behavior
Erst später in dem monumentaleren Werk Theory of Games and Economic Behavior liefert von Neumann den elementarsten Fall eines Spiels nach:
Eine offensichtliche Beschreibung dieses Spiels ist die Feststellung,
daß niemand etwas tut und nichts geschieht. [11]
Spätestens da ist alles Spieltheorie - entledigt sind seine Subjekte
und alle Materialität, die nicht die Notation trägt.
Theorien zum Spiel - Wahrscheinlichkeitskalkülen
Nachgedacht wurde über das Spiel wahrscheinlich schon als die erste
Menschheitsgeneration mit dem Knochenmaterial der ihr vorangegangen Generation,
zwar noch keine Würfel, aber dennoch was zum Würfeln hatte. Doch
Theorien zum Spiel reichten auch mit solchen Größen wie Fermat
oder Pascal immer nur zu Wahrscheinlichkeitskalkülen. Deshalb galten
diese Theorien dem Spiel genau dann, wenn es keins mehr war. Denn es ging
zumeist darum, wie Gewinne aufzuteilen sind, wenn Spiele vorzeitig beendet
werden. Henry Poincaré wird zwar noch die Einsicht kommen, daß
die Natur auch nur einen Dealer ist und kein prinzipieller Unterschied
zwischen der Verteilung von Karten in einem Stapel und von Molekülen
im Gas herrscht. [12] Aber für eine Spieltheorie
fehlt ihm der entschiedene Begriff der Strategie.
Strategie: Heere führen - Krieg führen
Strategie heißt ja von je her nichts anderes als Heere führen, oder verallgemeinert Krieg führen. Nur mit dem Zweiten Weltkrieg dürfte der Begriff von Krieg ein anderer geworden sein und somit auch der der Strategie. Karl Dönitz, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, mag davon sein Leid klagen:
Die Frage des Täuschungs-Funkverkehrs mit dem Ziel, gewisse
Gebiete als von U-Booten besetzt, andere Gebiete als von U-Booten frei
erscheinen zu lassen, wird als zwar theoretisch sehr einleuchtend, in der
praktischen Durchführung aber sehr kompliziert angesehen. Ein weiteres
Durchdenken dieser Frage und der daraus zu ziehenden Schlußfolgerung
führt zu einem weitgehenden Hineinkombinieren in den Gegner (Gegner
denkt, ich denke - also denke ich ...], [Das entzieht] sich dem sachlichen
Beurteilungsvermögen [...]. Hinzu kommt die Gefahr falscher oder ungenauer
Peilungen des Gegners, die unter Umständen gerade dem Zwecke des Täuschungs-Funks
entgegen wirkt... [13]
Gegner denkt, ich denke - also denke ich...
Es ist die Kontingenz im Quadrat von Freund/Feind und Täuschungs-Funk/Fehlpeilung, die das Cogito ergo sum Karl Dönitz' zu keinem Sein mehr kommen läßt, sondern nur wieder zu einem Denken: Gegner denkt, ich denke - also denke ich... Vierzehn Jahre später, denkt einer, der seine erste Schriften in einem befreiten Paris allesamt der Spieltheorie widmet, den Satz den Dönitz offen läßt, zu Ende:
Wenn ich ihn [den Gegenspieler] als mit mir selbst identisch unterstelle, dann unterstelle ich zugleich, daß er fähig ist, von mir zu denken, was ich dabei bin, von ihm zu denken, und zu denken, daß ich denken werde, daß er das Gegenteil dessen tun wird, von dem er denkt, daß ich dabei bin, es zu denken. [14]
Wir sind wieder mitten in Lacans Seminar zu Poes "Entwendeten Brief". Doch Lacan bleibt nicht beim Gegenspieler stehen, sondern weiß von einer Maschine:
Man hat, scheint's, eine Maschine konstruiert, die das Grad-oder-Ungrad-Spiel spielt. Ich stehe für nichts ein, denn ich habe sie nicht gesehen, aber ich verspreche Ihnen, daß ich, eh' diese Seminare vorbei sein werden, hingehen werde, um sie zu sehen - unser guter Freund Riguet hat mir gesagt, daß er mich mit ihr konfrontieren will. [15]
( Mir hat Monsieur Riguet gesagt, daß er das nie gesagt und getan hat.) Lacan wird niemals von einem Rendezvous mit der Maschine berichten, genauso wenig wie über die Quellen seiner Kenntnis. Er fährt einfach fort, eine Maschine hypothetisch anzunehmen, um sie dann zu analysieren:
Aber für den Augenblick spiele ich nicht Grad-oder-Ungrad, sondern
ich spiele, um das Spiel der Maschine zu erraten. [16]
Shaonnonn zwei-Personen-Nullsummenspiel
Cryptanalyst nannte Shaonnon den einen Part eines Zwei-Personen-Nullsummenspiels,
Cipher Designer den anderen in der Theorie der Kommunikation [17],
die auf die Bedingungen des Zweiten Weltkriegs eingestellt ist. Ein Ziffer
Designer war im Zweiten Weltkrieg auch das deutsche De- und Chiffrierungssystem
Enigma. Nur wußte man ja auf deutscher Seite gar nicht, daß
man mit der Enigma nur einen Part innerhalb eines Deadly Serious Game [18]
eingenommen und nicht - wie leichtfertig prognostiziert - das Spiel selber
in der Hand hatte. Dönitz mußte die Engima der Rettungsring
in der schier uferlosen Oszillationen sein, die die Intersubjektivität
modulierte.
Spielstrategien konstituieren Kommunikation
Doch Spielstrategien scheinen nicht erst bei der Konfiguration von Kommunikationssysteme
zum Zuge zu kommen, sondern konstituieren Kommunikation selber. [19]
Leute wie Alan Turing, von Neumann und Claude Shannon haben das Spieltableau
neu entworfen: Alan Turing, indem er ein endliches Regelwerk für das
Berechenbare lieferte und damit theoretisch den Computer. Shannon, indem
er die Implementierung des Regelwerks in Schaltzuständen berechenbar
machte und von Neumann, der ja schlicht und ergreifend dafür die Rechnerarchitektur
einräumte.
Simulation der Mind-Reading(?)Machine
Das Programm der gezeigten Simulation der Mind-Reading(?)Machine sitzt der von Neumannschen Computerarchitektur direkt zweimal auf. Zunächst wird es von der virtuellen Java-Maschine, die einen Rechner samt aller Register und Programmzähler in Software noch einmal nachbildet, ausgeführt, sodann interpretiert der 686er Rechner oder fast jede beliebige andere Plattform diese virtuelle Maschine. Aber den meisten der heutigen Plattformen sind selbst eine Mind-Reading(?)Machine in Hardware eingesenkt.
Das Fließbandverfahren stand schon der frühen Computertheorie
Modell. [20] So ist es nicht verwunderlich, daß
alsbald die Pipeline in die realen Rechnerarchitekturen einzog. Seitdem
ist der zentralen Recheneinheit aufgetragen, nach Möglichkeit nicht
abzuwarten, daß eine Instruktion die verschiedenen Instanzen ihrer
vollständigen Abarbeitung passiert hat, um ihr den nächsten Befehl
folgen zu lassen. Vielmehr gilt es dem Ideal eines maximalen Durchsatzes
nahezukommen, welches da wäre, daß jede Instanz mit jedem Takt
nun in sich verschränkte Instruktionen prozessiert. Nur macht es sich
bei bedingten Sprüngen schlecht, vor der Auswertung der Bedingung
schon die nächste Instruktion zu laden, könnte doch gerade die
Bedienung auftragen, eine andere Instruktion zu holen. Die Berechnung der
Bedingung abzuwarten macht sich indessen noch schlechter. Denn das führt
- wie es ja so schön im Computerjargon heißt - zu weiteren bubbles
in der pipeline, zu Leerläufen. Hier kommt die Mind-Reading(?)Machine
alias Branch Target Buffer [21] zum Zug und bringt
aufgrund ihrer Voraussage eine der beiden möglichen Instruktionen
in Anschlag. Über Erfolg oder Mißerfolg der Voraussage und damit
über weitere führt nun eine 8-Bit-History Buch. Und hier verebbt
auch dieser Zeichenstrom einer kleinen Geschichte über die Mind-Reading(?)Machine.
Eine 8-Bit-History, das ist einzige Geschichte, die Computer bis jetzt
von sich haben, denn ansonsten sichern sie ihre Zeit und ihren Bestand
im endlosen Prozessieren von Befehls- und Datenströme, die in ihrer
Kontingenz noch alle Möglichkeiten eines Gegenspielers einzuräumen
versprechen.
Nachspiel
Das Auditorium spielte gegen die nachgebildete Mind-Reading(?)Machine.
Hierzu wurde eine Tafel rumgereicht, die eine Wahl durch eine Eins oder
Null anzuzeigen erlaubte. Wie sehr die Mind-Reading(?)Machine verstanden
worden war, zeigte sich, als die Tafel nicht wie angenommen von Platz zu
Platz weitergegeben wurde. Anstelle in das Verhängnis einer solchen
intersubjektiven Kette gezwungen zu werden, entschieden sich nur Aus- und
Selbsterwählte ein Votum abzugeben und zwar solche, die sicher sein
konnten die Tafel über die unregelmäßigsten Stationen gereicht
bekommen zu haben. So konnte verdient, wenn auch knapp, das Auditorium
gegen die Mind-Reading(?)Machine einen Gewinn verbuchen.
[1] Vgl. Herman H. Goldstine, The Computer from Pascal to von Neumann. Princeton 1973, S.95
[2] Profile of Claude Shannon - Interview by Anthony Liversidge. In: Claude Elwood Shannon, Collected Papers. Hg. N.J.A. Sloane, Aaron Wyner. New Jersey 1993, S. XXII
[3] Claude Shannon, A Symbolic Analysis of Relay and Switching Circuits. In: Transactions American Institute of Electrical Engineers, Vol. 57 (1938), S. 713-723
[4] Jacques Lacan, Das Seminar Buch II (1954-1955). Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse. Hrsg. v. Nobert Haas und Hans-Jochaim Metzger. Weinheim, Berlin, S.109, im folgendem zitiert als `Lacan, Seminar II'
[5] Vgl. Vannevar Bush, As We may think. In: Atlsntic Monthly 176 (1) 1945, S.101-108, hier S.102 und Vannevar Bush, Pieces of the Action. New Jersey 1970, S.34
[6] Lacan, Seminar II, a.a.O., S.228
[7] Vgl. Alan Turing, Über berechenbare Zahlen mit einer Anwendung auf das Entscheidugsproblem. In: ders., Inteligence Service. Hrsg. v. Bernhard Dotzler und Friedrich Kittler. Berlin 1987, S.17-60
[8] Jacques Lacan, Einführung. In: Schriften I. Hrsg. v. Norbert Haas. Olten 1972, S.49
[10] Vgl. John v. Neumann, Zur Theorie der Gesellschaftsspiele. In: Mathematische Annalen, Bd. 100 (1928). S.295-320, hier S.303
[11] John von Neumann, Oskar Morgenstern, Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten. Würzburg 1961, S.76
[12] Henry Poincaré, Calcul des Probabilittés. Paris 1912, S.15
[13] Karl Dönitz, Zehn Jahre und zwanzig Tage. Bonn 1958, S.143
[15] Lacan, Seminar II. 227 f.
[17] Claude Shannon, Communication Theory of Secrecy Systems. In: Bell System Technical Journal, Vol. 28 (1949), S. 656-715, hier S.704
[18] Vgl. auch Philipp Mirowski, When Games Grow Deadly Serious: The Military Influence on the Evolution of Game Theory. In: Journal of Political Economy, 23 (1991), S. 227-55.
[19] Vgl. Benoit Mandelbrot, Simple Games Of Strategy Occuring In Communication Through Natural Languages. In: Institue of Radio Engineers / Professional Group on Information Theory: Transactions. Bd. 3 (1954), S.124-135
[20] Vgl. Andrew Hodges, The Engima. Berlin 1989, S.147
[21] Vgl. John K. F. Lee und Alan Jay Smith, Branch
Prediction Strategies and Branch Target Buffer Design. In: Computer 17:1
(1984), S.6-22