BÜROKRIEG
Informationstechnologien
Informationstechnologien optimieren den Output von Bürokratien.
Und dennoch haben sie eine Geschichte, die nicht erst mit den Computern
der Nachkriegszeit beginnt. Die Geschichte elektronischer Bürosysteme
beginnt im Weltkrieg II. Sie handelt von secrecy und release, von Massenproduktion
und Austauschbarkeit. Austauschbarkeit mobilisiert in wartime Kriegressourcen.
In peacetime wandelt sie Kriegtechnologien in Büromaschinen.
Waffensysteme
Waffensysteme zielen auf Massenproduktion. Sie zielen auf Serie. Wissen
in wartime ist mechanische Erzeugung: mechanische Erzeugung, die mit einfachen
wiederholbaren Prozessen arbeitet. Amerikanische Waffenfabriken produzieren
im Bürgerkrieg Gewehre, deren Munition und Einzelteile austauschbar
sind. Der Weltkrieg I, schreibt Kittler, treibt Austauschbarkeit so weit,
daß die Einzelteile des Maschinengewehrs 08/15 auch in Fahrrad- oder
Schreibmaschinenfabriken hergestellt werden können. [1]
Seitdem sorgt die Austauschbarkeit der Einzelteile dafür, daß
die Technologien von wartime und peacetime ineinander konvertierbar sind.Sie
macht Kriegsmaschinen mit Büromaschinen kompatibel.
wartime
An der Schwelle zu wartime entstehen in den USA zwei Behörden,
die den Auftrag erhalten, zivile Technologien in Kriegtechnologien zu wandeln.
Im Juni 1940 wird das National Defense Research Committee (NDRC) gegründet.
Sein Zweck besteht darin, Waffensysteme zu entwickeln und sie in kürzester
Zeit zur Serienreife zu führen. Ab Juni 1941 wird das NDRC durch das
Office of Scientific Research and Development (OSRD) ergänzt. Das
OSRD soll die Übertragungsraten zwischen Industrie, Forschung und
Front erhöhen. Vannevar Bush, der Direktor des OSRD, ist direkt dem
Präsidenten unterstellt. Seine Behörde soll die Zugriffszeit
auf Information minimieren. Darum unterteilt das OSRD zivile Einrichtungen
in Divisionen und die Divisionen nocheinmal in Sektionen. Auf der Ebene
der Sektionen formieren sich Laboratorien, die Waffensysteme produzieren.
Doch erst mit dem Office of Field Service (OFS) erzeugt das OSRD einen
Dienstweg, der sich beständig selbst korrigiert. Die Offiziere des
OFS halten die Fronten ständig in Kontakt mit ihren Bürokratien
in Übersee. Sie gleichen die Verwaltung mit den Kriegsfronten ab.
So finden Vorschläge ihren Weg über das OFS in die Sektionen.
Am Runden Tisch werten Wissenschaftler und Ingenieure zusammen mit dem
OFS die Ergebnisse der Front aus. Die Ergebnisse leiten sie an den Direktor
des OSRD weiter. Vannevar Bush gleicht sie mit der Strategie der Regierung
ab. Er schickt einen Bescheid an die betreffende Sektion. Die Sektion erarbeitet
ein Konzept. Das Konzept wird wiederum zu Bush zurückgesandt. Wird
es genehmigt, durchläuft ein vorgefertigter Vertrag noch einmal denselben
Weg. Der Dienstweg des OSRD installiert Rückkopplung in Kriegsbürokratien.
Darum bringen die Hierarchien des OSRD jede Hierarchie zum Verschwinden.
Rückkopplung hält Verwaltungen flexibel. Es gibt keine vorhersagbaren
Funktionen. Verträge verpflichten das Personal zu kurzen und präzisen
Arbeitseinsätzen. Totale Strategie macht zwischen Produktion und Personal
keinen Unterschied. Der Dienstweg normiert die Vorgänge so sehr, daß
Austauschbarkeit primär zu einer Funktion des Personals wird. Das
OSRD ist allein dazu da, einen Dienstweg zu erzeugen, der Rauschen produziert.
Genau darum starten Befehle am Runden Tisch, werden an die Spitze weiter
geleitet und wieder nach unten zurückgelenkt.
Diktaturen bauen auf Redundanz
Die Hierarchien amerikanischer Militärbürokratien sind relational.
Befehle verlaufen nicht linear. Jede Einheit, wo immer sie sich befindet,
verfügt über Schnittstellen, die sie anschlußfähig
machen. Es ist kein Geheimnis, schreibt Bush, daß Deutschland viel
länger als jede Demokratie alles auf die Produktion von Kriegstechnologien
abstellte. Und dennoch sei das rigide Militärregime ein Nachteil für
die Optimierung von Kriegsressourcen. Denn Diktaturen bauen auf Redundanz.
Wo jeder Befehl verlustfrei übertragen werden muß, kann Information
nicht entstehen. Das OSRD ersetzt starre Befehlsstrukturen durch Entropie.
Und dennoch erzeugen auch amerikanische Militärbürokratien nicht
Informationen, die sie nicht kontrollieren können." Ein Vorteil von
Demokratien ist es, daß niemand bemerkt, daß im Krieg alles
unter der Kontrolle des Militärs steht", schreibt Vannevar Bush. [2]
Weil nur Rückkopplung Information produziert, muß Demokratie
in wartime emuliert werden. Aber Informationen sind nur nutzbar, wenn sie
vorhersagbar bleiben. In Wahrheit geben Militärbürokratien ihre
Befehlsmacht nicht preis. Democracy ist die Software des Totalen Krieges.
Sie mobilisiert Zivilisten. Ihr Gehorsam bleibt unbedingt. Er braucht keine
starren Befehlsstrukturen. Allein der Dienstweg einer Militärbehörde
muß für ihre Subjekte simulieren, daß die Arbeit, die
sie an der Front leisten, ihrer eigenen Willkür entspringt. Und obwohl
Simulationen reine Software sind, erzeugen sie Hardware, die den Krieg
entscheidet.
Sicherheitsproblem: Kontrolle über das Personal
" My rule was simple and not capable of misinterpretation - each man
should know everything he needed to know to do his job nothing else", schreibt
Groves, der General, der die Forschungen in Los Alamos leitet. [3]
Das größte Sicherheitsproblem ist die Kontrolle über das
Personal. Das Personal ist der Ausschuß, den die Totale Strategie
des Krieges produziert. "Dr. Bush", so Groves, "has already expressed concern
over the risks incurred through the free exchange of information among
the various people in the project. This flow had to be stopped, if we were
to beat our opponents in the race for the first atomic bomb".[4]
Um jeden Austausch zu unterbinden, unterhält Groves einen eigenen
Geheimdienst, der das Personal lichtet. Er sorgt dafür, daß
kein Hinweis auf die Bombe an die Öffentlichkeit gelangt. Wenn Groves
in seinen Memoiren die Präzision und den Überblick lobt, mit
denen sein Geheimdienst operiert, so deckt er, daß er von Anfang
an Low-Tech ist. Er deckt die Bombe, die noch geheimer ist als seine Bombe.
Jene Bombe ist eine Maschine, die alle Papiermaschinen stillschweigend
ersetzt hat. Turings Bombe knackt seit 1942 den Code deutscher Geheimschreibmaschinen.
Indem sie intelligence service auf Maschinen implementiert, befreit sie
jeden Geheimdienst von der Langsamkeit des Personals. Der Krieg um Informationen
ist ein Krieg der Maschinen, auf denen Kommunikation zwischen den Fronten
aufruht. Groves' Geheimdienst hingegen bewahrt den Glauben an das Personal.
In Wahrheit aber ist die Eliminierung von Sicherheitsrisikos die Arbeit
von Geheimschreibmaschinen. Denn den Krieg entscheidet nicht der Kommunismus
an den Universitäten, wie Groves glaubt. Den Krieg entscheidet das
Wissen über die Stärke von Armeeeinheiten, das Wissen über
feindliche Stellungen und ihre Logistik. Diese Geheimnisse aber können
nur noch Maschinen lichten.
Geheimschreibmaschinen
Die Geschichte der Geheimschreibmaschinen beginnt nicht als deutsche
Geschichte und ist ebensowenig geheim geblieben. Sie beginnt im Land der
Colts und Schreibmaschinen. 1915 koppelt ein Amerikaner mit Hobby Chiffrierwesen
den Output von Schreibmaschinen mit elektromagnetischen Schaltern. Remingtons
Schreibmaschinen sind perfekte Schreiber. Die Schalter von Edward Hebern
binden Schreibmaschinen an Diskurse, die seit Gutenberg als erledigt galten.
Sie verbinden Schreibmaschinen erneut mit der Unschärfe von Manuskripten.
Nach jedem Anschlag sorgt ein Schalter dafür, daß ein Buchstabe
ein anderer wird. Die Unschärfe der Handschrift wird anschreibbar,
weil über jede Schalterstellung die Willkür des Maschinisten
herrscht. Das US Patent 1 683 072 ist die erste Schlüsselmaschine,
die in Serie geht. Und dennoch bleibt sie nicht einzig. Als Arthur Scherbius,
Ingenieur und Berliner, 1919 beginnt Geheimschreibmaschinen zu bauen, sind
die Technologien schon da. Seine Chiffriermaschinen AG braucht sie nur
noch zu vermarkten. 1923 versorgt sie einen Kongreß der Internationalen
Postunion mit Scherbius' Geheimschreibmaschinen. Preiswert, zuverlässig
und sicher übertragen sie Geschäftskorrespondenz und Telegramme,
schreibt die Reklame. Für die Reklame bürgt ein Medium, das für
Übertragung schlechthin garantiert. Die Deutsche Reichspost sendet
ein Grußtelegramm an die Kongreßbesucher. Der Gruß ist
mit der Maschine geschrieben. Der Fernschreiber summt. Und kaum ist er
vor Ort verstummt, wird der Postgruß zerhackt in die Maschine eingetippt.
Glühlampen leuchten. Ein Schreiber schreibt. Ein Leser liest: den
Postgruß, unversehrt. Ein freundlicher Postgruß, den jeder
mitlesen kann, genügt, um den militärischen Nutzen zu demonstrieren.
Geheimdienste und Militärs beginnen, jene Maschinen zu ordern. Die
Bestellungen, die Fellgiebel ab 1926 aufgeben sollte, lassen fast den gesamten
deutschen Befehlsfluß auf den Geheimschreibmaschinen von Scherbius
aufruhen. Die Maschinen verschwinden vom Markt. Und fortan heißen
sie Enigma. Denn Rätsel sollen sie erzeugen, die kein Personal mehr
lichten kann.
Enigma
Ein schlichter Holzkasten mit den Maßen 34 x 28 x 15 cm verbirgt
die Geheimschreibmaschine Enigma. In Einheit mit Radiosendern findet sie
fortan ihren Einsatz an vorderster Front. Eine Schreibmaschinentastatur,
ein Glühlampenfeld, 3 bis 5 auswechselbare Walzen, eine Umkehrwalze
und ein Steckfeld sorgen dafür, daß jeder Buchstabe durch ein
Netz von Kontakten flottiert. Sie sorgen dafür, daß jeder Buchstabe
mehrfach durch Buchstaben verschiedener Alphabete ersetzt wird. Die Elektromagnetik
der Enigma kann 0,269*102424 Rätsel erzeugen: knapp 1/4 Quadrillion
Möglichkeiten, wie 26 Buchstaben miteinander kombiniert werden können.
[5] Keine Häufigkeitsanalysen können Unsinnstexte
wieder in Klartext wandeln. Maschinen verdammen das Personal zum Irrsinn.
Seitdem können auf Maschinen nur noch Maschinen reagieren.
Krieg: Datenprobleme
Kriege unterscheiden wieder zwischen Alphabeten und Analphabeten. Datenmengen
müssen erledigt werden. "The failure to predict Pearl Harbor", so
Burke, "was the result of too many bytes. Thousands of intercepted Japanese
naval messages could not be analyzed with the men and equipment availabe
to Laurence Safford's OP-20-G". [6] Für die Amerikaner
beginnt der Krieg mit einem Datenproblem. Und Roosevelts Brief, der am
7. November 1944 die Forschung der Vereinigten Staaten von secrecy auf
release umstellt, läßt ihn mit einem Datenproblem enden. Der
Brief ist an Vannevar Bush gerichtet, den Direktor des OSRD. Am Ende des
Krieges besteht die letzte Aufgabe des OSRD darin, Datenmengen zu demobilisieren,
die Zensur aufzuheben. Wo der Krieg zwischen Information und Rauschen unterscheidet,
bleiben Daten hermetisch, die keine militärische Nutzung ermöglichen.
Zensur in wartime erzeugt Datenmengen, die erst der Nachkrieg decodieren
kann. Das OSRD antwortet mit einem Report, der Report mit einer Empfehlung:
Security Restrictions Should be Lifted Promptly. Die Empfehlung unterläuft
den binären Code, mit dem das OSRD drei Jahre lang operierte. Die
Arbeit einer Behörde, die nur Geheimnisse erzeugt, ist in peacetime
redundant geworden. Die Empfehlung ist darum ein Löschbefehl. Am Ende
des Krieges wird die Behörde durch Maschinen ersetzt. Denn Demobilisierung
bedeutet, Daten zu übertragen: sie durch ein Netz von Kontakten flottieren
zu lassen. In peacetime, empfiehlt Irvin Stewart, der Chairman des Committee
on Publication of Scientific Research in einen Brief an Bush, sollte ein
Programm secrecy und release steuern: "... speed of release should accompanied
by a mechanism which will lift the restrictions on publication in a particular
field uniformly for all workers in that field, regardless of the particular
agency of the Government for which the work might originally have been
done. The Commitee feels strongly that this mechanism should established
without any unnecessary delay". [7]
Bush: MEMEX
Im Juli 1945 ist der Report beendet. Alle Untersuchungen des OSRD sind
abgeschlossen. Und es ist kein Zufall, daß Atlantic Monthly dem leitenden
Direktor in demselben Monat einige Seiten zur Verfügung stellt. Dort
entsteht auf wenigen Seiten eine Maschine, die selbsttätig zwischen
Öffnung und Schließung entscheidet. Wenn Bush fragt: "What are
the Scientists to do next?", so wird klar, die future devices, die Bush
im folgenden vorstellt, sind jener Mechanismus, der Bürokratien aus
Fleisch und Blut endgültig ersetzt. Sie übertragen Kriegsbürokratien
auf Maschinen. Sie implementieren intelligence service auf Maschinen. Datenmengen
haben Kriege entschieden. Darum kommt jede humane Eingabe zu spät.
Der Kurzschluß von Schreibmaschinen hat Wissenschaftler ausgeschlossen.
Unter den Bedingungen des Kalten Krieges hören Geheimschreiber von
Feinden nicht auf, Befehle zu senden. Und diese Befehle wollen gelesen
werden. Darum muß Military research in peacetime den Krieg mit zivilen
Maschinen fortsetzen. "Consider a future device for individual use, which
is a sort of mechanized private file and library. It needs a name, and,
to coin one at random, "memex" will do. A Memex is a device in which an
individual stores all his books, records, and communications, and which
is mechanized so that it may be consulted with exceedingly speed and flexibility.
It is an enlarged supplement to his memory." [8] Die
Maschine sollte die Daten schnell und flexibel verarbeiten. Aber selbst
sie bringt die Geheimnisse nicht zum verschwinden. Sie gibt vor, ein erweitertes
Gedächtnis zu sein. Und dennoch arbeitet sie in peacetime ausschließlich
unter den Bedingungen des Krieges. Daß Bush in den 30er Jahren bereits
an Memex arbeitet, mag nicht verwundern. [9] Seit 1936
entwirft Bush Dechiffriermaschinen: Geräte der Zukunft, die auf alle
Datenmengen reagieren, die feindliche Radiowellen aussenden. Vom Comparator
über den Rapid Selector bis zu Memex sind die Technologien dieselben
geblieben: Mikrofilm, Scanner und schnelle Speichereinheiten. Alle Maschinen
haben niemals das Labor verlassen. Und dennoch sind sie der Prototyp von
Massenproduktion und Austauschbarkeit, die Bush nicht müde wird einzufordern.
[10] Mikrofilm, Scanner und schnelle Speichereinheiten
sollten in wartime eine Dechiffriermaschine erzeugen und in peacetime eine
Büromaschine. So rätselhaft wie ihre Herkunft ist ihre Materialität.
"... it looks like a desktop", schreibt Bush. Und dennoch ist der Schreibtisch
nicht mehr als eine Benutzeroberfläche. Er verbirgt die Maschine.
Memex wandelt nicht nur wartime in peacetime. Das erweiterte Gedächtnis
macht vergessen, daß er zu Maschinen kompatibel ist, die ihr Personal
eliminieren. Memex entbindet jedes Gehirn von Datenverarbeitung. Mit dieser
Tarnung schreibt sich der binäre Code des Krieges ohne Ende in den
Bürosystemen des Nachkriegs fort. Und genau das bedeutet Massenproduktion
unter den Bedingungen des Krieges: Maschinen, die universal sind. Universal
auf der Ebene der Hardware. Universale Maschinen wechseln mühelos
zwischen Krieg und Nachkrieg.
Bürosysteme: von Verwaltungen auf Maschinen
Mit Memex wird die Bürokratie des OSRD auf Schreibtische übertragen, Bürosysteme von Verwaltungen auf Maschinen. Verwaltungen und Maschinen entspringen demselben Quellcode. Doch secrecy in peacetime trennt keine Kanäle. Memex zensiert nicht. Memex verknüpft. "It affords an immediate step, however, to associative indexing, the basic idea of which is a provision whereby any item may be caused at will to select immediately and automatically another. This is the essential feature of the memex. The process of tying two items together is the important thing." [11] Die Befehle, die auf Memex laufen, erzeugen Selbstreferenz in Permanenz. Memex ist reine Wiederholung. Und dennoch ist Memex mehr als ein Gedächtnisverstärker. Memex verfügt über einen unendlich großen Speicher. Er ist schnell. Er ist flexibel. In wartime wandelt eine Einheit von Mikrofilm und Photozellen alle Feindesbefehle verzögerungsfrei in Klartext. In peacetime wandelt Memex Text in Text (Text). Jeder Code, der einmal eingeben ist, verbleibt im Speicher. Darum kann jeder Text (n) zum Ausgangspunkt einer neuen Verknüpfung werden. Indem der Speicher die Möglichkeit bietet, stets überschrieben zu werden, kann sich das System selbst fortschreiben. Rückkopplung stellt Maschinen auf Automatik. Sie macht intelligence service zu Maschinenservice, Schreibtische zu Sekretären, die anstelle ihrer Benutzer heimlich schreiben. 1945 muß Memex ein Gerät der Zukunft bleiben. Und dennoch haust Memex in jedem PC. Denn Schreibtische und Sekretäre wandern in den 70er Jahren in Bildschirme aus. Sie lassen secrecy zum Standard von Benutzeroberflächen werden.
Nachkriegsbürokratien dürfen nicht schreiben von den Erfolgen
der Government Code and Cipher School. In peacetime
deutet nichts mehr auf jene Industrie von 10000 Mann und die Maschinen,
deren Teil sie waren. Nichts deutet mehr darauf hin, daß sie ab 1942
in der Abgeschiedenheit von Bletchley Park und ihren Abhörstationen
tagtäglich 2000 Rätsel der deutschen Wehrmacht lösten. Groves
Bombe fällt und Turings Bomben verschwinden. Die Computer lassen Geheimschreibmaschinen
nach Amerika zurückkehren. Nachdem sie die Befehlsstände der
Streitkräfte aufgerüstet haben, kehren sie als mechanized private
file and library zurück. Daß sie mehr sind als Büromaschinen,
bleibt ihr Geheimnis. Universale Dechiffriermaschinen wie jene Maschinen
von Vannevar Bush dagegen sind so geheim, daß sie nur gedacht und
niemals gebaut werden dürfen. Enigma und ihre Gegenmaschinen bleiben
unentdeckt in Feindeshand. Knapp 30 Jahre konnten Maschinen mitlesen, wenn
Enigmen einander schrieben. 1974 wird Ultra durch einen Betriebsunfall
gelöst. Und fast zur selben Zeit sollte eine Forschungseinheit Memex
technisch implementieren.
Palo Alto Research Center (PARC).
1970 gründet Xerox das Palo Alto Research Center (PARC). PARC erhält
den Auftrag, Computer zu entwickeln, die aussehen wie Schreibtische und
ebenso einfach funktionieren. Mit dem Alto, dem ersten personal computer,
entstehen 1974 die ersten grafischen Benutzeroberflächen (GUI). Nicht
umsonst wird das Papierbüro zur Botschaft der neuen Maschinen und
Oberflächen. Seit 1959 erzeugen Xeroxkopierer Papiermengen, die erledigt
werden wollen. Die neuen Maschinen sollen die Datenmengen elimieren, die
Xeroxkopierer nicht aufhören zu produzieren. Die Maus ersetzt den
Stift, die Fenster Papier und
Aktenordner.
Bildschirm simuliert den Schreibtisch
Der Bildschirm simuliert den Schreibtisch, auf dem Papiere nebeneinander,
übereinander und in Stapeln liegen. PARC digitalisiert Engelbarts
Maus und ersetzt seinen Fernsehbildschirm durch eine Bitmap-Anzeige. Die
Bitmap-Anzeige ermöglicht einen schnelleren Bildschirmaufbau, damit
Vorgänge auf dem digitalen Schreibtisch in Echtzeit funktionieren,
damit keine Verzögerung die Übertragung stört. Ethernet
und E-mail schließen Schreibtische zu Büros zusammen. So verkleinern
die Standards, die PARC in den 70er Jahren erzeugt, jedes Büro auf
Bildschirmgröße. Wo ein Klick jeden Befehl ersetzt, brauchen
Benutzer den Code nicht mehr zu lichten. Wo jedes Objekt, das sichtbar
ist, auf seine Ausführung wartet, werden Befehle redundant. Die Prototypen
aus den Labors von PARC stehen ganz im Dienste von release. Und dennoch
verdanken sie ihre Benutzerfreundlichkeit den Kriegtechnologien. Dafür
sorgt schon die Biographie ihrer Erfinder. GUIs entspringen Radarbildschirmen,
schreibt Douglas Engelbart, Radartechniker und Erfinder der Maus. [12]
Und die Geschichte gibt ihm Recht. Bevor Cursor auf Icons zielten, erfaßten
sie im Koreakrieg feindliche Ziele auf Radarbildschirmen. Bevor Mäuse
Cursortrefferraten erhöhten, waren ihre Vorgänger im Weltkrieg
II Eingabegeräte von taktischen Feuerleitsystemen. [13]
Der Grafikstandard, den Xerox installiert, gehorcht noch immer der Logistik
des Krieges: Was sichtbar ist, wird exekutiert. Maschinen wie die Altos,
Lisas und Macintoshs mobilisieren ihre Benutzer. Wenn Laptops serienmäßig
Infrarotschnittstellen besitzen, wenn Büros ihre Mitarbeiter mit Handy
und Laptop ausrüsten, so optimiert mobile Datenverarbeitung Nachkriegsbüros.
Büroarbeiter, deren Alltag mit einem neuen Einsatzbefehl beginnt,
operieren wie Soldaten im Kampfeinsatz. Sie werden im ständigen Kontakt
mit ihrem Befehlsstand gehalten.
Golfkrieg, Virilio
"Die Zukunft gehört dem großen Blackout, der Funkstille und
den elektronischen oder nichtelektronischen Störmanövern jeder
Art", schreibt Virilio. [14] Und in der Tat läßt
der Golfkrieg militärische und technologische Strategien konvergieren.
"Long-term the PC and workstation will wither because computing access
will be everywhere: in the walls, on wrists, and in "scrap computers" (like
scrap paper) lying about to be grabbed as needed", schreibt Mark Weiser,
der bis 1994 dem Computer Science Laboratory (CLS) von Xerox vorstand und
nun Chief Technologist bei PARC ist. [15] Seit neun
Jahren arbeitet das CLS an Ubiquitous Computing (Ubicom). Hunderte von
Einwegcomputern mit Infrarotschnittstellen, so billig wie ein Sixpack,
sollen in Zukunft die Allgegenwart des Computers erzeugen. Perfekte Oberflächen
werden true invisibility erzeugen. Sie lassen scrap computers unterhalb
der Wahrnehmungsschwelle operieren. Die Prototypen, sogenannte Tabs, Pads
und Liveboards haben PARC und Olivetti zu Beginn der 90er Jahre entwickelt.
Tabs, Computer in Scheckkartengröße, sind Kennmarken (badges),
die ihre Benutzer ausweisen und lokalisierbar machen. Pads sind Computer
im Papierformat. Liveboards ermöglichen real-time conferencing auf
wandfüllenden Displays. Die Zukunft gehört nicht grafischen Benutzeroberflächen
mit kruden Metaphern. Sie gehört nicht immobilen Maschinen. Die Zukunft
gehört Natural Computing. Sie gehört perfekten Sekretären.
Sie gehört Sekretären, die nicht nur heimlich schreiben. Perfekte
Dienstfertigkeit läßt sie vollkommen verschwinden. Die Welt
ist kein Schreibtisch: "A good tool is an invisible tool", schreibt Weiser.
[16] Das Nullmedium macht Funkstille zum Standard von
Benutzerschnittstellen. "Whereas the intimate computer does your bidding,
the ubiquitous computer leaves you feeling as though you did it yourself",
schreibt Weiser. [17] In Wahrheit geben die Maschinen
ihre Befehlsmacht nicht preis. Maschinendemokratie muß nur für
ihre Benutzer simulieren, daß sie befehlen, wo Maschinen befehlen.
Die Dienstfertigkeit von Maschinen, die gegen unendlich geht, schließt
jeden Benutzer wirksam aus. Solange Benutzer befehlen ohne zu lesen, lesen
ohne zu schreiben, ist der Krieg nicht verschwunden. Er haust im technischen
Supplement des Menschenhirns.
LITERATUR
Burke, Colin 1994 : Information and Secrecy. Vannevar Bush, Ultra, and the Other Memex. London.
Bush, Vannevar 1945 : "As we may think". In: Atlantic Monthly. S. 101-108.
- 1971: Pieces of the Action. London.
- 1967: Science - The Endless Frontier. New York.
- 1943: "Research and the War Effort. Adress before the of Electronical Engineers". In: Ders.: Endless Horizons. Washington.
Groves, Leslie R. 1962 : Now it can be told. The story of Manhattan Project. New York.
Kittler, Friedrich A. 1997 : "Hardware, das unbekannte Wesen". In: Lab. Jahrbuch 1997/98 für Künste und Apparate. Hg. v. Siegfried Zielinski, Nils Röller und Wolfgang Ernst. Köln 1997.
Rheingold, Howard: Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Hamburg 1992.
Roch, Axel 1996 : "Die Maus. Von der elektronischen zur taktischen Feuerleitung". In: Lab. Jahrbuch 1995/96 für Künste und Apparate. Hg. v. Siegfried Zielinski, Nils Röller und Wolfgang Ernst. Köln 1996.
Virilio, Paul 1993 : Krieg und Fernsehen. München.
Weiser, Mark 1994: "The world is not a desktop". http://www.ubiq.com/hypertext/weiser/ACMInteractions2.html. Auch in: ACM Interactions (Januar 1994).
- 1993: "Ubiquitous Computing". http://www.ubiq.com/hypertext/weiser/UbiCACM.html. Auch in: IEEE Computer "Hot Topics" (Oktober 1993).
Werther, Waldemar 1979 : "Die Entwicklung der deutschen Funkschlüsselmaschinen:
Die 'Enigma'". In: Jürgen Rohwer / Eberhard Jäckel: Die Funkaufklärung
und ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg. Stuttgart.