Gloria Meynen

BÜROKRIEG
 
 
 
 

Informationstechnologien

Informationstechnologien optimieren den Output von Bürokratien. Und dennoch haben sie eine Geschichte, die nicht erst mit den Computern der Nachkriegszeit beginnt. Die Geschichte elektronischer Bürosysteme beginnt im Weltkrieg II. Sie handelt von secrecy und release, von Massenproduktion und Austauschbarkeit. Austauschbarkeit mobilisiert in wartime Kriegressourcen. In peacetime wandelt sie Kriegtechnologien in Büromaschinen.
 

Waffensysteme

Waffensysteme zielen auf Massenproduktion. Sie zielen auf Serie. Wissen in wartime ist mechanische Erzeugung: mechanische Erzeugung, die mit einfachen wiederholbaren Prozessen arbeitet. Amerikanische Waffenfabriken produzieren im Bürgerkrieg Gewehre, deren Munition und Einzelteile austauschbar sind. Der Weltkrieg I, schreibt Kittler, treibt Austauschbarkeit so weit, daß die Einzelteile des Maschinengewehrs 08/15 auch in Fahrrad- oder Schreibmaschinenfabriken hergestellt werden können. [1] Seitdem sorgt die Austauschbarkeit der Einzelteile dafür, daß die Technologien von wartime und peacetime ineinander konvertierbar sind.Sie macht Kriegsmaschinen mit Büromaschinen kompatibel.
 

wartime

An der Schwelle zu wartime entstehen in den USA zwei Behörden, die den Auftrag erhalten, zivile Technologien in Kriegtechnologien zu wandeln. Im Juni 1940 wird das National Defense Research Committee (NDRC) gegründet. Sein Zweck besteht darin, Waffensysteme zu entwickeln und sie in kürzester Zeit zur Serienreife zu führen. Ab Juni 1941 wird das NDRC durch das Office of Scientific Research and Development (OSRD) ergänzt. Das OSRD soll die Übertragungsraten zwischen Industrie, Forschung und Front erhöhen. Vannevar Bush, der Direktor des OSRD, ist direkt dem Präsidenten unterstellt. Seine Behörde soll die Zugriffszeit auf Information minimieren. Darum unterteilt das OSRD zivile Einrichtungen in Divisionen und die Divisionen nocheinmal in Sektionen. Auf der Ebene der Sektionen formieren sich Laboratorien, die Waffensysteme produzieren. Doch erst mit dem Office of Field Service (OFS) erzeugt das OSRD einen Dienstweg, der sich beständig selbst korrigiert. Die Offiziere des OFS halten die Fronten ständig in Kontakt mit ihren Bürokratien in Übersee. Sie gleichen die Verwaltung mit den Kriegsfronten ab. So finden Vorschläge ihren Weg über das OFS in die Sektionen. Am Runden Tisch werten Wissenschaftler und Ingenieure zusammen mit dem OFS die Ergebnisse der Front aus. Die Ergebnisse leiten sie an den Direktor des OSRD weiter. Vannevar Bush gleicht sie mit der Strategie der Regierung ab. Er schickt einen Bescheid an die betreffende Sektion. Die Sektion erarbeitet ein Konzept. Das Konzept wird wiederum zu Bush zurückgesandt. Wird es genehmigt, durchläuft ein vorgefertigter Vertrag noch einmal denselben Weg. Der Dienstweg des OSRD installiert Rückkopplung in Kriegsbürokratien. Darum bringen die Hierarchien des OSRD jede Hierarchie zum Verschwinden. Rückkopplung hält Verwaltungen flexibel. Es gibt keine vorhersagbaren Funktionen. Verträge verpflichten das Personal zu kurzen und präzisen Arbeitseinsätzen. Totale Strategie macht zwischen Produktion und Personal keinen Unterschied. Der Dienstweg normiert die Vorgänge so sehr, daß Austauschbarkeit primär zu einer Funktion des Personals wird. Das OSRD ist allein dazu da, einen Dienstweg zu erzeugen, der Rauschen produziert. Genau darum starten Befehle am Runden Tisch, werden an die Spitze weiter geleitet und wieder nach unten zurückgelenkt.
 

Diktaturen bauen auf Redundanz

Die Hierarchien amerikanischer Militärbürokratien sind relational. Befehle verlaufen nicht linear. Jede Einheit, wo immer sie sich befindet, verfügt über Schnittstellen, die sie anschlußfähig machen. Es ist kein Geheimnis, schreibt Bush, daß Deutschland viel länger als jede Demokratie alles auf die Produktion von Kriegstechnologien abstellte. Und dennoch sei das rigide Militärregime ein Nachteil für die Optimierung von Kriegsressourcen. Denn Diktaturen bauen auf Redundanz. Wo jeder Befehl verlustfrei übertragen werden muß, kann Information nicht entstehen. Das OSRD ersetzt starre Befehlsstrukturen durch Entropie. Und dennoch erzeugen auch amerikanische Militärbürokratien nicht Informationen, die sie nicht kontrollieren können." Ein Vorteil von Demokratien ist es, daß niemand bemerkt, daß im Krieg alles unter der Kontrolle des Militärs steht", schreibt Vannevar Bush. [2] Weil nur Rückkopplung Information produziert, muß Demokratie in wartime emuliert werden. Aber Informationen sind nur nutzbar, wenn sie vorhersagbar bleiben. In Wahrheit geben Militärbürokratien ihre Befehlsmacht nicht preis. Democracy ist die Software des Totalen Krieges. Sie mobilisiert Zivilisten. Ihr Gehorsam bleibt unbedingt. Er braucht keine starren Befehlsstrukturen. Allein der Dienstweg einer Militärbehörde muß für ihre Subjekte simulieren, daß die Arbeit, die sie an der Front leisten, ihrer eigenen Willkür entspringt. Und obwohl Simulationen reine Software sind, erzeugen sie Hardware, die den Krieg entscheidet.
 

Sicherheitsproblem: Kontrolle über das Personal

" My rule was simple and not capable of misinterpretation - each man should know everything he needed to know to do his job nothing else", schreibt Groves, der General, der die Forschungen in Los Alamos leitet. [3] Das größte Sicherheitsproblem ist die Kontrolle über das Personal. Das Personal ist der Ausschuß, den die Totale Strategie des Krieges produziert. "Dr. Bush", so Groves, "has already expressed concern over the risks incurred through the free exchange of information among the various people in the project. This flow had to be stopped, if we were to beat our opponents in the race for the first atomic bomb".[4] Um jeden Austausch zu unterbinden, unterhält Groves einen eigenen Geheimdienst, der das Personal lichtet. Er sorgt dafür, daß kein Hinweis auf die Bombe an die Öffentlichkeit gelangt. Wenn Groves in seinen Memoiren die Präzision und den Überblick lobt, mit denen sein Geheimdienst operiert, so deckt er, daß er von Anfang an Low-Tech ist. Er deckt die Bombe, die noch geheimer ist als seine Bombe. Jene Bombe ist eine Maschine, die alle Papiermaschinen stillschweigend ersetzt hat. Turings Bombe knackt seit 1942 den Code deutscher Geheimschreibmaschinen. Indem sie intelligence service auf Maschinen implementiert, befreit sie jeden Geheimdienst von der Langsamkeit des Personals. Der Krieg um Informationen ist ein Krieg der Maschinen, auf denen Kommunikation zwischen den Fronten aufruht. Groves' Geheimdienst hingegen bewahrt den Glauben an das Personal. In Wahrheit aber ist die Eliminierung von Sicherheitsrisikos die Arbeit von Geheimschreibmaschinen. Denn den Krieg entscheidet nicht der Kommunismus an den Universitäten, wie Groves glaubt. Den Krieg entscheidet das Wissen über die Stärke von Armeeeinheiten, das Wissen über feindliche Stellungen und ihre Logistik. Diese Geheimnisse aber können nur noch Maschinen lichten.
 

Geheimschreibmaschinen

Die Geschichte der Geheimschreibmaschinen beginnt nicht als deutsche Geschichte und ist ebensowenig geheim geblieben. Sie beginnt im Land der Colts und Schreibmaschinen. 1915 koppelt ein Amerikaner mit Hobby Chiffrierwesen den Output von Schreibmaschinen mit elektromagnetischen Schaltern. Remingtons Schreibmaschinen sind perfekte Schreiber. Die Schalter von Edward Hebern binden Schreibmaschinen an Diskurse, die seit Gutenberg als erledigt galten. Sie verbinden Schreibmaschinen erneut mit der Unschärfe von Manuskripten. Nach jedem Anschlag sorgt ein Schalter dafür, daß ein Buchstabe ein anderer wird. Die Unschärfe der Handschrift wird anschreibbar, weil über jede Schalterstellung die Willkür des Maschinisten herrscht. Das US Patent 1 683 072 ist die erste Schlüsselmaschine, die in Serie geht. Und dennoch bleibt sie nicht einzig. Als Arthur Scherbius, Ingenieur und Berliner, 1919 beginnt Geheimschreibmaschinen zu bauen, sind die Technologien schon da. Seine Chiffriermaschinen AG braucht sie nur noch zu vermarkten. 1923 versorgt sie einen Kongreß der Internationalen Postunion mit Scherbius' Geheimschreibmaschinen. Preiswert, zuverlässig und sicher übertragen sie Geschäftskorrespondenz und Telegramme, schreibt die Reklame. Für die Reklame bürgt ein Medium, das für Übertragung schlechthin garantiert. Die Deutsche Reichspost sendet ein Grußtelegramm an die Kongreßbesucher. Der Gruß ist mit der Maschine geschrieben. Der Fernschreiber summt. Und kaum ist er vor Ort verstummt, wird der Postgruß zerhackt in die Maschine eingetippt. Glühlampen leuchten. Ein Schreiber schreibt. Ein Leser liest: den Postgruß, unversehrt. Ein freundlicher Postgruß, den jeder mitlesen kann, genügt, um den militärischen Nutzen zu demonstrieren. Geheimdienste und Militärs beginnen, jene Maschinen zu ordern. Die Bestellungen, die Fellgiebel ab 1926 aufgeben sollte, lassen fast den gesamten deutschen Befehlsfluß auf den Geheimschreibmaschinen von Scherbius aufruhen. Die Maschinen verschwinden vom Markt. Und fortan heißen sie Enigma. Denn Rätsel sollen sie erzeugen, die kein Personal mehr lichten kann.
 

Enigma

Ein schlichter Holzkasten mit den Maßen 34 x 28 x 15 cm verbirgt die Geheimschreibmaschine Enigma. In Einheit mit Radiosendern findet sie fortan ihren Einsatz an vorderster Front. Eine Schreibmaschinentastatur, ein Glühlampenfeld, 3 bis 5 auswechselbare Walzen, eine Umkehrwalze und ein Steckfeld sorgen dafür, daß jeder Buchstabe durch ein Netz von Kontakten flottiert. Sie sorgen dafür, daß jeder Buchstabe mehrfach durch Buchstaben verschiedener Alphabete ersetzt wird. Die Elektromagnetik der Enigma kann 0,269*102424 Rätsel erzeugen: knapp 1/4 Quadrillion Möglichkeiten, wie 26 Buchstaben miteinander kombiniert werden können. [5] Keine Häufigkeitsanalysen können Unsinnstexte wieder in Klartext wandeln. Maschinen verdammen das Personal zum Irrsinn. Seitdem können auf Maschinen nur noch Maschinen reagieren.
 

Krieg: Datenprobleme

Kriege unterscheiden wieder zwischen Alphabeten und Analphabeten. Datenmengen müssen erledigt werden. "The failure to predict Pearl Harbor", so Burke, "was the result of too many bytes. Thousands of intercepted Japanese naval messages could not be analyzed with the men and equipment availabe to Laurence Safford's OP-20-G". [6] Für die Amerikaner beginnt der Krieg mit einem Datenproblem. Und Roosevelts Brief, der am 7. November 1944 die Forschung der Vereinigten Staaten von secrecy auf release umstellt, läßt ihn mit einem Datenproblem enden. Der Brief ist an Vannevar Bush gerichtet, den Direktor des OSRD. Am Ende des Krieges besteht die letzte Aufgabe des OSRD darin, Datenmengen zu demobilisieren, die Zensur aufzuheben. Wo der Krieg zwischen Information und Rauschen unterscheidet, bleiben Daten hermetisch, die keine militärische Nutzung ermöglichen. Zensur in wartime erzeugt Datenmengen, die erst der Nachkrieg decodieren kann. Das OSRD antwortet mit einem Report, der Report mit einer Empfehlung: Security Restrictions Should be Lifted Promptly. Die Empfehlung unterläuft den binären Code, mit dem das OSRD drei Jahre lang operierte. Die Arbeit einer Behörde, die nur Geheimnisse erzeugt, ist in peacetime redundant geworden. Die Empfehlung ist darum ein Löschbefehl. Am Ende des Krieges wird die Behörde durch Maschinen ersetzt. Denn Demobilisierung bedeutet, Daten zu übertragen: sie durch ein Netz von Kontakten flottieren zu lassen. In peacetime, empfiehlt Irvin Stewart, der Chairman des Committee on Publication of Scientific Research in einen Brief an Bush, sollte ein Programm secrecy und release steuern: "... speed of release should accompanied by a mechanism which will lift the restrictions on publication in a particular field uniformly for all workers in that field, regardless of the particular agency of the Government for which the work might originally have been done. The Commitee feels strongly that this mechanism should established without any unnecessary delay". [7]
 

Bush: MEMEX

Im Juli 1945 ist der Report beendet. Alle Untersuchungen des OSRD sind abgeschlossen. Und es ist kein Zufall, daß Atlantic Monthly dem leitenden Direktor in demselben Monat einige Seiten zur Verfügung stellt. Dort entsteht auf wenigen Seiten eine Maschine, die selbsttätig zwischen Öffnung und Schließung entscheidet. Wenn Bush fragt: "What are the Scientists to do next?", so wird klar, die future devices, die Bush im folgenden vorstellt, sind jener Mechanismus, der Bürokratien aus Fleisch und Blut endgültig ersetzt. Sie übertragen Kriegsbürokratien auf Maschinen. Sie implementieren intelligence service auf Maschinen. Datenmengen haben Kriege entschieden. Darum kommt jede humane Eingabe zu spät. Der Kurzschluß von Schreibmaschinen hat Wissenschaftler ausgeschlossen. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges hören Geheimschreiber von Feinden nicht auf, Befehle zu senden. Und diese Befehle wollen gelesen werden. Darum muß Military research in peacetime den Krieg mit zivilen Maschinen fortsetzen. "Consider a future device for individual use, which is a sort of mechanized private file and library. It needs a name, and, to coin one at random, "memex" will do. A Memex is a device in which an individual stores all his books, records, and communications, and which is mechanized so that it may be consulted with exceedingly speed and flexibility. It is an enlarged supplement to his memory." [8] Die Maschine sollte die Daten schnell und flexibel verarbeiten. Aber selbst sie bringt die Geheimnisse nicht zum verschwinden. Sie gibt vor, ein erweitertes Gedächtnis zu sein. Und dennoch arbeitet sie in peacetime ausschließlich unter den Bedingungen des Krieges. Daß Bush in den 30er Jahren bereits an Memex arbeitet, mag nicht verwundern. [9] Seit 1936 entwirft Bush Dechiffriermaschinen: Geräte der Zukunft, die auf alle Datenmengen reagieren, die feindliche Radiowellen aussenden. Vom Comparator über den Rapid Selector bis zu Memex sind die Technologien dieselben geblieben: Mikrofilm, Scanner und schnelle Speichereinheiten. Alle Maschinen haben niemals das Labor verlassen. Und dennoch sind sie der Prototyp von Massenproduktion und Austauschbarkeit, die Bush nicht müde wird einzufordern. [10] Mikrofilm, Scanner und schnelle Speichereinheiten sollten in wartime eine Dechiffriermaschine erzeugen und in peacetime eine Büromaschine. So rätselhaft wie ihre Herkunft ist ihre Materialität. "... it looks like a desktop", schreibt Bush. Und dennoch ist der Schreibtisch nicht mehr als eine Benutzeroberfläche. Er verbirgt die Maschine. Memex wandelt nicht nur wartime in peacetime. Das erweiterte Gedächtnis macht vergessen, daß er zu Maschinen kompatibel ist, die ihr Personal eliminieren. Memex entbindet jedes Gehirn von Datenverarbeitung. Mit dieser Tarnung schreibt sich der binäre Code des Krieges ohne Ende in den Bürosystemen des Nachkriegs fort. Und genau das bedeutet Massenproduktion unter den Bedingungen des Krieges: Maschinen, die universal sind. Universal auf der Ebene der Hardware. Universale Maschinen wechseln mühelos zwischen Krieg und Nachkrieg.
 

Bürosysteme: von Verwaltungen auf Maschinen

Mit Memex wird die Bürokratie des OSRD auf Schreibtische übertragen, Bürosysteme von Verwaltungen auf Maschinen. Verwaltungen und Maschinen entspringen demselben Quellcode. Doch secrecy in peacetime trennt keine Kanäle. Memex zensiert nicht. Memex verknüpft. "It affords an immediate step, however, to associative indexing, the basic idea of which is a provision whereby any item may be caused at will to select immediately and automatically another. This is the essential feature of the memex. The process of tying two items together is the important thing." [11] Die Befehle, die auf Memex laufen, erzeugen Selbstreferenz in Permanenz. Memex ist reine Wiederholung. Und dennoch ist Memex mehr als ein Gedächtnisverstärker. Memex verfügt über einen unendlich großen Speicher. Er ist schnell. Er ist flexibel. In wartime wandelt eine Einheit von Mikrofilm und Photozellen alle Feindesbefehle verzögerungsfrei in Klartext. In peacetime wandelt Memex Text in Text (Text). Jeder Code, der einmal eingeben ist, verbleibt im Speicher. Darum kann jeder Text (n) zum Ausgangspunkt einer neuen Verknüpfung werden. Indem der Speicher die Möglichkeit bietet, stets überschrieben zu werden, kann sich das System selbst fortschreiben. Rückkopplung stellt Maschinen auf Automatik. Sie macht intelligence service zu Maschinenservice, Schreibtische zu Sekretären, die anstelle ihrer Benutzer heimlich schreiben. 1945 muß Memex ein Gerät der Zukunft bleiben. Und dennoch haust Memex in jedem PC. Denn Schreibtische und Sekretäre wandern in den 70er Jahren in Bildschirme aus. Sie lassen secrecy zum Standard von Benutzeroberflächen werden.

Nachkriegsbürokratien dürfen nicht schreiben von den Erfolgen der Government Code and Cipher School. In peacetime
deutet nichts mehr auf jene Industrie von 10000 Mann und die Maschinen, deren Teil sie waren. Nichts deutet mehr darauf hin, daß sie ab 1942 in der Abgeschiedenheit von Bletchley Park und ihren Abhörstationen tagtäglich 2000 Rätsel der deutschen Wehrmacht lösten. Groves Bombe fällt und Turings Bomben verschwinden. Die Computer lassen Geheimschreibmaschinen nach Amerika zurückkehren. Nachdem sie die Befehlsstände der Streitkräfte aufgerüstet haben, kehren sie als mechanized private file and library zurück. Daß sie mehr sind als Büromaschinen, bleibt ihr Geheimnis. Universale Dechiffriermaschinen wie jene Maschinen von Vannevar Bush dagegen sind so geheim, daß sie nur gedacht und niemals gebaut werden dürfen. Enigma und ihre Gegenmaschinen bleiben unentdeckt in Feindeshand. Knapp 30 Jahre konnten Maschinen mitlesen, wenn Enigmen einander schrieben. 1974 wird Ultra durch einen Betriebsunfall gelöst. Und fast zur selben Zeit sollte eine Forschungseinheit Memex technisch implementieren.
 

Palo Alto Research Center (PARC).

1970 gründet Xerox das Palo Alto Research Center (PARC). PARC erhält den Auftrag, Computer zu entwickeln, die aussehen wie Schreibtische und ebenso einfach funktionieren. Mit dem Alto, dem ersten personal computer, entstehen 1974 die ersten grafischen Benutzeroberflächen (GUI). Nicht umsonst wird das Papierbüro zur Botschaft der neuen Maschinen und Oberflächen. Seit 1959 erzeugen Xeroxkopierer Papiermengen, die erledigt werden wollen. Die neuen Maschinen sollen die Datenmengen elimieren, die Xeroxkopierer nicht aufhören zu produzieren. Die Maus ersetzt den Stift, die Fenster Papier und
Aktenordner.
 

Bildschirm simuliert den Schreibtisch

Der Bildschirm simuliert den Schreibtisch, auf dem Papiere nebeneinander, übereinander und in Stapeln liegen. PARC digitalisiert Engelbarts Maus und ersetzt seinen Fernsehbildschirm durch eine Bitmap-Anzeige. Die Bitmap-Anzeige ermöglicht einen schnelleren Bildschirmaufbau, damit Vorgänge auf dem digitalen Schreibtisch in Echtzeit funktionieren, damit keine Verzögerung die Übertragung stört. Ethernet und E-mail schließen Schreibtische zu Büros zusammen. So verkleinern die Standards, die PARC in den 70er Jahren erzeugt, jedes Büro auf Bildschirmgröße. Wo ein Klick jeden Befehl ersetzt, brauchen Benutzer den Code nicht mehr zu lichten. Wo jedes Objekt, das sichtbar ist, auf seine Ausführung wartet, werden Befehle redundant. Die Prototypen aus den Labors von PARC stehen ganz im Dienste von release. Und dennoch verdanken sie ihre Benutzerfreundlichkeit den Kriegtechnologien. Dafür sorgt schon die Biographie ihrer Erfinder. GUIs entspringen Radarbildschirmen, schreibt Douglas Engelbart, Radartechniker und Erfinder der Maus. [12] Und die Geschichte gibt ihm Recht. Bevor Cursor auf Icons zielten, erfaßten sie im Koreakrieg feindliche Ziele auf Radarbildschirmen. Bevor Mäuse Cursortrefferraten erhöhten, waren ihre Vorgänger im Weltkrieg II Eingabegeräte von taktischen Feuerleitsystemen. [13] Der Grafikstandard, den Xerox installiert, gehorcht noch immer der Logistik des Krieges: Was sichtbar ist, wird exekutiert. Maschinen wie die Altos, Lisas und Macintoshs mobilisieren ihre Benutzer. Wenn Laptops serienmäßig Infrarotschnittstellen besitzen, wenn Büros ihre Mitarbeiter mit Handy und Laptop ausrüsten, so optimiert mobile Datenverarbeitung Nachkriegsbüros. Büroarbeiter, deren Alltag mit einem neuen Einsatzbefehl beginnt, operieren wie Soldaten im Kampfeinsatz. Sie werden im ständigen Kontakt mit ihrem Befehlsstand gehalten.
 

Golfkrieg, Virilio

"Die Zukunft gehört dem großen Blackout, der Funkstille und den elektronischen oder nichtelektronischen Störmanövern jeder Art", schreibt Virilio. [14] Und in der Tat läßt der Golfkrieg militärische und technologische Strategien konvergieren. "Long-term the PC and workstation will wither because computing access will be everywhere: in the walls, on wrists, and in "scrap computers" (like scrap paper) lying about to be grabbed as needed", schreibt Mark Weiser, der bis 1994 dem Computer Science Laboratory (CLS) von Xerox vorstand und nun Chief Technologist bei PARC ist. [15] Seit neun Jahren arbeitet das CLS an Ubiquitous Computing (Ubicom). Hunderte von Einwegcomputern mit Infrarotschnittstellen, so billig wie ein Sixpack, sollen in Zukunft die Allgegenwart des Computers erzeugen. Perfekte Oberflächen werden true invisibility erzeugen. Sie lassen scrap computers unterhalb der Wahrnehmungsschwelle operieren. Die Prototypen, sogenannte Tabs, Pads und Liveboards haben PARC und Olivetti zu Beginn der 90er Jahre entwickelt. Tabs, Computer in Scheckkartengröße, sind Kennmarken (badges), die ihre Benutzer ausweisen und lokalisierbar machen. Pads sind Computer im Papierformat. Liveboards ermöglichen real-time conferencing auf wandfüllenden Displays. Die Zukunft gehört nicht grafischen Benutzeroberflächen mit kruden Metaphern. Sie gehört nicht immobilen Maschinen. Die Zukunft gehört Natural Computing. Sie gehört perfekten Sekretären. Sie gehört Sekretären, die nicht nur heimlich schreiben. Perfekte Dienstfertigkeit läßt sie vollkommen verschwinden. Die Welt ist kein Schreibtisch: "A good tool is an invisible tool", schreibt Weiser. [16] Das Nullmedium macht Funkstille zum Standard von Benutzerschnittstellen. "Whereas the intimate computer does your bidding, the ubiquitous computer leaves you feeling as though you did it yourself", schreibt Weiser. [17] In Wahrheit geben die Maschinen ihre Befehlsmacht nicht preis. Maschinendemokratie muß nur für ihre Benutzer simulieren, daß sie befehlen, wo Maschinen befehlen. Die Dienstfertigkeit von Maschinen, die gegen unendlich geht, schließt jeden Benutzer wirksam aus. Solange Benutzer befehlen ohne zu lesen, lesen ohne zu schreiben, ist der Krieg nicht verschwunden. Er haust im technischen Supplement des Menschenhirns.
 


[1] Kittler 1997.

[2] Bush 1943 : 107.

[3] Groves 1962 : 140.

[4] Groves 1962 : 140.

[5] Werther 1976 : 62 f.

[6] Burke 1994 : 125.

[7] Bush 1980 : 187.

[8] Bush 1945 : 107.

[9] Bush 1933 : 9.

[10] Bush 1943 : 108.

[11] Bush 1945 : 107.

[12] Rheingold 1992 : 86.

[13] Roch 1996.

[14] Virilio 1993 : 89.

[15] Weiser 1993.

[16] Weiser 1994.

[17] Weiser 1993.
 



 

LITERATUR

Burke, Colin 1994 : Information and Secrecy. Vannevar Bush, Ultra, and the Other Memex. London.

Bush, Vannevar 1945 : "As we may think". In: Atlantic Monthly. S. 101-108.

- 1971: Pieces of the Action. London.

- 1967: Science - The Endless Frontier. New York.

- 1943: "Research and the War Effort. Adress before the of Electronical Engineers". In: Ders.: Endless Horizons. Washington.

Groves, Leslie R. 1962 : Now it can be told. The story of Manhattan Project. New York.

Kittler, Friedrich A. 1997 : "Hardware, das unbekannte Wesen". In: Lab. Jahrbuch 1997/98 für Künste und Apparate. Hg. v. Siegfried Zielinski, Nils Röller und Wolfgang Ernst. Köln 1997.

Rheingold, Howard: Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Hamburg 1992.

Roch, Axel 1996 : "Die Maus. Von der elektronischen zur taktischen Feuerleitung". In: Lab. Jahrbuch 1995/96 für Künste und Apparate. Hg. v. Siegfried Zielinski, Nils Röller und Wolfgang Ernst. Köln 1996.

Virilio, Paul 1993 : Krieg und Fernsehen. München.

Weiser, Mark 1994: "The world is not a desktop". http://www.ubiq.com/hypertext/weiser/ACMInteractions2.html. Auch in: ACM Interactions (Januar 1994).

- 1993: "Ubiquitous Computing". http://www.ubiq.com/hypertext/weiser/UbiCACM.html. Auch in: IEEE Computer "Hot Topics" (Oktober 1993).

Werther, Waldemar 1979 : "Die Entwicklung der deutschen Funkschlüsselmaschinen: Die 'Enigma'". In: Jürgen Rohwer / Eberhard Jäckel: Die Funkaufklärung und ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg. Stuttgart.