Programm
Vortrag
Bettina
Vissmann, Architektin, TU Berlin: "Potsdamer Platz Mimikry" -
Thesen zur Konstruktion urbaner Oberfläche
"Zentrum der Zukunft": Promo-Video
zum Potsdamer Platz
Podiumsdiskussion
Sascha
Korp, Leiter Marketing berlin.de
(debis), Berlin
Horst
Ulrich, Referatsleiter Stadtinformationssystem und Onlinedienste,
Senatskanzlei Berlin
Hilmar
Schmundt, Redakteur bei konr@d
(Hamburg), Mitorganisator der softmoderne
Moderation
Thorsten Schilling und Pit
Schultz, mikro e.V., Berlin
Video
"Millennumania" von Nina
Fischer & Maroan el Sani
Audio
DJ Manuela Krause -electronic
listening-
|
mikro.lounge
#8:
NETZ.STATT.BERLIN
<www.mikro-berlin.org/Events/19981104.html>
WMF, Johannisstr. 20, Berlin-Mitte
Mittwoch, 4. November 1998,
20.00 Uhr
|
mediaweb-tv
Gunter Becker: Berlin.de
im Kreuzverhör. Das Modell der virtuellen Metropole hat nicht
nur Freunde (Tagesspiegel, 6.11.98)
Transkription
der Diskussion
english
translation |
In
Berlin wird am Potsdamer Platz eine "neue Mitte" eröffnet und Millionen
kommen. Im Netz wird demnächst "berlin.de" neu gestartet: verschwinden
die Metropolen in ihren eigenen (imaginären) Netzen, entstehen hier
neue Zusammenhänge, Foren, Märkte, Communities, die jene in der
realen Welt alt aussehen lassen? Oder ist das alles nur ein Teil des neoliberalen
Prozesses der Deterritorialisiering der Städte, ihrer Gentrifizierung,
die jetzt auch im Netz beginnt?
Im Dezember soll "berlin.de"
nach einem Relaunch neu gestartet werden: eine Online-Community à
la AOL auf urbaner Basis? Neuer Content für alle? Ein cleverer Marketing-Schachzug,
um E-Commerce mit Public Content zu verbinden und attraktiver zu machen?
Oder wird der Staat (hier der Senat) jetzt smart und erweitert seine Fürsorglichkeit
hin zu neuen Dienstleistungen und transparenteren Informationen für
die Bürger? Die 5. Dimension für die Netizens der Next Generation?
Welchem urbanen Selbstbild
folgen solche Modelle, welche Erwartungen, welche neuen Möglichkeiten
eröffnen sich, welche Risiken und potentiellen Ausgrenzungen gibt
es dabei? Ersetzt das Netz die Stadt oder wird Berlin zur Netz-Stadt?
Bettina Vissmann |
Die
mikro.lounge #8 begann mit einem Vortrag der Architektin Bettina Vissmann,
TU Berlin, "Potsdamer Platz Mimikry - Thesen zur Konstruktion urbaner Oberfläche",
in welchem sie die debis-Parzelle des Potsdamer Platzes unter dem Aspekt
der Mimikry beschrieb. „Das Bild der Vergangenheit wird Abbild der Jetzt-Zeit.
Das Benutzen der alten Strukturen ist möglicherweise eine Strategie,
die, ähnlich wie in der Biologie, den Vorteil einer Nachahmung für
sich benutzt, indem neue Funktionen in altbekannten Strukturen verhüllt
werden. Hier tritt ein privater Konzern als Bauherr eines gesamten Stadtteils
auf; er tarnt sich, indem er Bilder benutzt, die vorhanden sind. debis
verkauft
seine kommerziellen Interessen unter dem Deckmantel, im Kleid von anderer
Architektur. Es handelt sich um eine Unfähigkeit, ohne Rückgriff
auf mimikrierte Strukturen oder Nachbildung neue komplexe Strukturen zu
entwerfen." |
Hilmar
Schmundt, Redakteur bei Konr@d in Hamburg, konstatierte ähnliches
im Hinblick auf berlin.de im Kontext der Berliner Projektland- schaft.
„Wir haben in Berlin sehr viele konkurrierende Systeme. Sehr viele Projekte
haben parallel geforscht, an ähnlichen Versuchen, die Stadt nachzumodellieren,
und auch den Kontakt der Bürger untereinander oder mit Behörden
und Firmen auszubauen. |
Hilmar Schmundt |
Die Vernetzung untereinander
ist eher unterentwickelt. Eine andere Tradition ist wahrscheinlich das
Subkulturelle. Einerseits führt die Berliner Subkultur zu unglaublich
spannenden und vielseitigen Projekten, andererseits läßt sich
eine überbetonte Heterogenität, eine zu große Vielfalt
feststellen, und es ist verpasst worden, Synergieeffekte zu produzieren."
Dies könnte, so Schmundt, ein Grund für die Auftragsvergabe an
debis gewesen sein. Schmundt plädierte für die Einrichtung einer
Metasuchmaschine oder einer gemeinsamen Netzplattform, die die verschiedenen
heterogenen Berliner Projekte navigierbar und überschaubar machen
könnte. Eine solche unabhängige Initiative wäre auf jeden
Fall einer Abbildung auf dem Server eine privatwirtschaftlichen Einrichtung
vorzuziehen.
Zu der provokanten
Frage, ob berlin.de solch ein Katalysator für die heterogene Struktur
der Berliner Netzlandschaft sein könnte, äußerten sich
Horst Ulrich von der Berliner Senatskanzlei, der zuständig ist für
das Stadt- informationssystem und die online-Dienste, und Sascha Korp,
Marketingleiter bei debis, primus online, berlin.de. |
Sascha Korp |
Horst Ulrich |
Die Gestaltung
der virtuellen Stadt berlin.de hat der Senat in die Hände eines großen
Wirtschafts- unternehmen gelegt. Das Public Private Partnership von Senat
und Primus Online (einem Joint Venture von debis, der Metro-Gruppe und
der Berliner Volksbank) soll die Stadt möglichst vollständig
unter www.berlin.de abbilden. |
Die Entscheidung für debis
traf der Senat nach einer europaweiten Aus- schreibung. Von debis versprach
sich der Senat einerseits die größte Öffentlichkeit, anderer-
seits soll berlin.de eine – so Ulrich – „offene Plattform", eine „Qualitätsmarke,
die die Vielfalt der Stadt bündeln" und diese „leicht erschließbar"
machen soll. Sascha Korp unterschied berlin.de ausdrücklich von der
„starren Architektur" des Potsdamer Platzes und definierte berlin.de als
„offene Plattform", auf der sich die Rolle von debis darauf reduziert,
eine technische und navigierbare Infrastruktur zur Verfügung zu stellen,
um so Raum für Potentiale und Möglichkeiten zu schaffen. Inhalte
sollten ausdrücklich nicht von debis (debis würde nur kleine
redaktionelle Eingriffe vornehmen), sondern von den Projekten selber zur
Verfügung gestellt werden. berlin.de solle „so kontrovers und so heterogen
wie die Stadt" werden, und letzt- endlich liege es „an der Stadt, was aus
berlin.de wird, nicht an debis."
Die Fragen, die sich in der
Diskussion anschlossen, beschäftigten sich haupt- sächlich mit
der Frage „Zentralisierungstendenzen oder Heterogenität". Findet im
Rahmen von berlin.de z.B. eine Zentralisierung mit Hilfe der Senatsverwaltung
statt? Soll hier versucht werden, die unübersichtliche und vielfältige
Online-Kultur mit einem „berlin.de"-Stempel zu versehen und zu zentralisieren
– soll ein Top-Down Modell geschaffen
werden? Hilmar Schmundt: „Wer eine Ausschreibung macht und einen Domain
Namen (berlin.de) und öffentliche Informationen kostenlos anbietet,
der wird Angebote von global players, wie Telekom, IBM, debis bekommen
und hat damit schon mal eine rigide Vorauswahl getroffen. Kleinere Projekte
bräuchten etwas Geld, um zu starten – seed money – das wäre aber
eine wirkliche Investition gewesen. Es gibt sehr viele, sehr clevere zukunftsfähige
Projekte (Stadt- plan.de entwickelt von Kulturbox, Fireball und die online
Taz entwickelt von der TU), die mit wenig Geld aus dieser heterogenen Struktur
entstanden sind. Und die nicht zu fördern ist ein grosses Problem,
das sich fortschreiben wird. Berlin.de wird auf der anderen Seite ein grosses
Glaubwürdigkeitsproblem haben wegen der Redakteure, die die Informationen
vorauswählen und zusammenstellen. Wenn die redaktionelle Zusammenstellung
durch einen Großinvestor in der Immobilienbranche und in der Telematik
gemacht wird, sind die informationellen Mehrwerte, die angeboten werden,
nichts mehr wert."
Daß die anschließende
Diskussion dann zunehmend den „Charakter eines Kreuz- verhörs" annahm,
hatte -- wie Gunter Becker am 6. November in Tagesspiegel schrieb
– diverse Gründe: „Unter den Zuhörern waren Berliner Netzaktivisten,
die bereits mit berlin.de über eine Teilnahme an der kommunalen Online-Plattform
verhandelt hatten, sich dann aber gegen die kostenlose Zulieferung ihrer
Inhalte entschieden. Die Logik der Betreibergesellschaft, eine kostenfreie
Einstellung von Inhalten mit einer Beteiligung an (eventuellen) Werbeeinnahmen
zu vergüten, erschien einigen Diskutanten als Ausverkauf ihrer aufwendig
produzierten Info-Angebote. Der wiederholte Hinweis von Korp und Ulrich,
man wolle lediglich eine offene Plattform zur Verfügung stellen, auf
der allen möglichen Anbietern Platz für ihre Aktivitäten
zur Verfügung stehe, um ein "lebendiges System" zu schaffen, wurde
eher mißtrauisch aufgenommen. Die Befürchtungen, daß die
Geldgeber eine stromlinienförmige Ausrichtung der Inhalte aus Gründen
der kommerziellen Verwertbarkeit einer authentischen Abbildung der heterogenen
Berliner Landschaft vorziehen, waren deutlich spürbar. Auch die Ankündigung,
daß kommunale Verwaltungsdienste, wie etwa die Ummeldung eines PKW,
gegen eine geringe Gebühr online im Stadtinformationssystem angeboten
werden solle, fand wenig Gegenliebe, wie Horst Ulrich feststellen mußte.
Umgekehrt zeigten aber die beharrlichen Fragen nach Datenschutz und der
Möglichkeit politischer Mitbestimmungsverfahren, wie mißtrauisch
viele Berliner Online-Projekte die virtuelle Community beobachten." (Auszug
aus: Gunter Becker, ‘Berlin.de im Kreuzverhör: Das Modell der virtuellen
Metropole hat nicht nur Freunde’, in: Der Tagesspiegel, 6. November
1998) <http://www.tagesspiegel.de/archiv/1998/11/05/in-be-7633.html>
[I.A.] |