Mikro-Politik und Offene Quellen
Topographie der Medienkulktur
Zwar gibt es in Berlin über die ganze Stadt verteilt Kleinstparzellen, in denen Multimediakünstler, Netzgeeks und Webklitschen immer noch ihre kreative Saat säen, aber die Hoffnungen in die neuen Technologien wurden durch mangelnde Medienkompetenz und grenzenlose Naivität im Umgang mit den sich eröffnenden Möglichkeiten immer wieder bitter enttäuscht. Mikro e.V. sieht sich in der Rolle des Vermittlers zwischen Wirtschaft , Politik, Wissenschaft (Technologie) und Kultur.
Wie mans besser nicht macht, zeigen das gescheiterte Mega-Projekt High Tech Center Babelsberg, das vor einigen Jahren an den Start ging, um den Filmproduktionsstandort Babelsberg mit einer beispiellosen Finanzspritze als ernstzunehmende Konkurrenz zu den Hollywood-Studios zu etablieren oder die ungewisse Zukunft des ungeliebten Kindes berlin.de (www.berlin.de). In beiden Fällen wurde viel Zeit und Geld in Projekte investiert, die ohne Fingerspitzengefühl auf eine Infrastruktur gepfropft wurden, die auf die Anforderungen dieses neuen Marktes noch gar nicht eingestellt war. Die Neuen Medien haben eine Ökonomie, die wir noch gar nicht begreifen, konstatiert Pit Schultz, Mitbegründer der Medieninitiative Mikro e.V. (www.mikro-berlin.org). Mikro besteht aus fünfzehn Mitgliedern (im harten Kern: Thorsten Schilling, Inke Arns, Volker Grassmuck, Andreas Broeckmann, Tilman Baumgärtel, Thomax Kaulmann, Ellen Nonnenmacher, Pit Schultz und die gesamte Crew von Convex-TV), die sich zu einem Interessenpool zusammengeschlossen haben, der in regelmäßigen Meetings die Problematiken, Nutzungsmöglichkeiten und Gefahren von digitalen (aber auch analogen) Medien diskutiert.
Mikro e.V. steht am Ende einer langen Kette von Entwicklungen und Gruppierungen, die in den letzten neun Jahren unter der Oberfläche der Berliner Medien- und Kunstszene verschiedene Gruppenarbeitsmodelle und Strömungen herausgearbeitet haben. Anfang der 90er beschäftigte sich die lose Gruppe Botschaft e.V. erstmals mit einer Verschmelzung der Disziplinen Kunst, Clubkultur und Medien. Auf einem sehr offenen Level veranstalteten Theaterwissenschaftler, Künstler, Ingenieure, Techniker, Musiker und Architekten Parties (kurz nach Öffnung der Mauer ging von Techno-Veranstaltungen noch ein enorm kreativer Output aus), in die erstmals Ausstellungen, Installat
Man bastelt sich die
Bedingungen einfach selber |
ionen etc. integriert wurden (am bekanntesten sind heute wohl Dog Film und Daniel Pflumm). Kunst mußte sich plötzlich in einer neuen Umgebung beweisen. Die erste interdisziplinäre Ausstellung hatte das Thema Urbanistik. Schultz: Wir wollten gleich aufzeigen, daß der Stadtraum die Oberfläche ist, auf der im Grunde alles stattfindet. Das allererste Medium sozusagen. Es gab in der Gruppe eine ganz starke Medienausrichtung, nur daß wir den Medienbegriff ausweiteten. Kommunikationsräume wie Städte, Häuser, Räume und auch Clubs.
Die Stadt, Räume und Architektur sind heute auch für Mikro ein wesentlicher Faktor in ihrer medial-theoretischen Konstruktion. Allerdings nicht als Metapher für eine virtuelle Oberfläche wie bei dem vor knapp zwei Jahren eingestellten Projekt Internationale Stadt (www.icf.de), deren Betreiber fast komplett wieder bei Mikro e.V. aufgetaucht sind, sondern sondern als soziales Environment. Als Verein mit Mitgliedern unterschiedlichsten Backgrounds (auch da bestehen Ähnlichkeiten zu Botschaft) hat Mikro sich auf eine klare Ausrichtung festgelegt: Man diskutiert nicht mehr nur innerhalb des eng angezirkelten Bereichs der Medienkunst, ein Topic, das allenfalls 3% der Leute interessiert, sondern setzt die Medien generell (Videokunst, elektronische Musik, Radio- und Fernsehproduktionen, Internet und Multimedia-Technologien) in den gesellschaftlichen Kontext Medienkultur, mit dem Ziel, die kritische Auseinandersetzung von/mit unabhängiger Medienkultur unter Berücksichtigung der sozialen und politischen Komponente zu fördern: eben o.g. Raum der städtischen Infrastruktur zu besetzen und zu beleben, oder die direkten/indirekten Auswirkungen technischer Neuerungen auf die Gesellschaft zu erkennen und nutzbringend/sinnvoll mit diesen umzugehen. McLuhan hatte nicht recht: Der reale Ort ist durch das Global Village nicht ersetzbar.
Darum bringt Mikro e.V. die räumliche Orientierung wieder ins Spiel. Jeden ersten Mittwoch im Monat findet im WMF die Mikro Lounge statt, ein öffentliches Forum, das sich als erste Anlaufstelle für Berlins kritische Medienszene herauskristallisiert hat. Schulz: Für Mikro ist Berlin so enorm wichtig, weil wir glauben, daß sich Medienkultur nur um urbane Räume herum entwickeln kann. Urbanismus und Medienkultur gehören als Mindframe zusammen. Die Stadt als lebender Organismus. Nicht die Architektur zählt, sondern was du von der Stadt im Kopf hast. Man bastelt sich die Bedingungen selber.
Aus der Bezugnahme der Aktivitäten der Mikro Lounge auf die Stadt entsteht der Versuch, die überall verteilten kreativen Parzellen zusammenzuführen. In einer Netzwerk-ähnlichen, sich selbst organisierenden Struktur (bottom - up) sieht man die einzige Möglichkeit, mit den neuen Technologien und den daraus resultierenden neuen Machtverhältnissen kreativ und effektiv arbeiten zu können. Das Scheitern von Finanzmolochs wie dem High Tech Center Babelsberg und die Startschwierigkeiten von berlin.de sehen sie darin begründet, daß die Firmenstruktur streng hierarchisch (top - down) organisiert war/ist. Die Namensgebung in Mikro ist somit Programm.
Im ansprechenden Rahmen des WMF widmet sich Mikro ausgewählten Themen wie Copyrights und MP3, Kontrolle des Internets, Kryptographie oder auch (ganz speziell) berlin.de, macht sie zu Themen einer öffentlichen Diskussion, eingebettet in Vorträge, Videovorführungen
Die Neuen Medien haben eine Ökonomie
die wir noch gar nicht begreifen.
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und DJ-Sets (Lounge!). In ihren Debatten machen sich die Mitglieder stark für die Demokratisierung der Technologien, die sie als eine Grundvoraussetzung für den freien Fluß von Information betrachten.
Das neue Zauberwort heißt Open Source, zu dem Mikro (kuratiert von Volker Grassmuck) in Kooperation mit dem Haus der Kulturen der Welt und der Humboldt Universität im Juni den zweitägigen Kongress Wizard of OS (OS = Operating System) organisiert hat. Open Source ist die Methode, Software kostengünstig zur Benutzung und Weiterentwicklung zur Verfügung zu stellen. Systementwicklern aus aller Welt wird dadurch die Möglichkeit gegeben, jederzeit an dem Source Code des offenen Systems zu basteln und es zu verbessern. Der Hype um das Betriebssystem Linux machte Open Source plötzlich zu einem gesellschaftlich relevanten Thema. Gestandene Kulturjournalisten begannen, sich für Computer-Betriebssysteme zu interessieren.
Das ist natürlich auch der Wirtschaft, allen voran Bill Gates, nicht verborgen geblieben. Reibeflächen wie Open Source dienen den Vereinsmitgliedern als ständige Diskussionsgrundlage. Die Einmaligkeit von Wizard of OS gegenüber anderen Linux-Kongressen bestand darin, die Perspektiven von Open Source (wieder Mikro-typisch) interdisziplinär zu beleuchten. Geladen waren Netztheoretiker, Künstler, Systementwickler, Hacker, Informatiker, Journalisten, Vertreter der Wirtschaft und selbst ein Umweltaktivist.
Aber auch international verfügt man bereits über ein ausgereiftes Netzwerk (einer der Mikro-Mitbegründer war der Medienkritiker Geert Lovink, der zusammen mit Schultz auch die sehr empfehlenswerte Mailingliste nettime betreibt). Momentan arbeitet der Verein an dem Konzept eines Medialabs, ähnlich wie V2 in Rotterdam, um auch die versprengten Kreativen in Berlin an einem Tisch zusammenrücken zu lassen. Hier tut Aufklärungsarbeit not. Ohne kulturelles Verständnis (sprich: Austausch) gibt man die Machtfelder, die durch die neuen Technologien enstanden sind, ohne Gegenwehr an die ab, die sie für ihre fragwürdigen Zwecken nutzen. Die Vermittlung des praktischen Werts dieser neuen Möglichkeiten FÜR JEDEN ist nur eine der Aufgaben, die sich der Mikro e.V. gestellt hat. Das aber erfordert viel Geduld. Denn leider sprechen wir hier von Schlachtfeldern, die dem Normalbürger bisher noch vollkommen verborgen geblieben sind. ab
(Dank an Klaas Gleenewinkel für die fachliche Beratung)
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