Radio-Beitrag über mikro, 20. Jan. 1999, Deutschlandfunk
 

Deutschlandfunk, Mittwoch 20. Januar 1999, 15:50 - 15:57 Uhr, Sendung von Michael Langer, [Beitrag von Jens P. Rosbach, Interviews mit I. Arns und Th. Schilling anlässlich mikro.lounge #10: political activism on the net, am 13. Januar 1999 im WMF], 97,7 mhz
 

Anmoderation: Was kommt, wenn der Spaß aufhört? - Elektronische Einsamkeit, so war das letzte Buch der Amsterdamer Agentur Bilwet jedenfalls betitelt, ein spannendes Buch übrigens, das den Status Quo in unserer digitalen Welt analysiert und beschreibt, nämlich dann, wenn der erste und auch der zweite Rausch des Internet-Surfens vorüber ist. Netzkritik und Netzkultur - das sind in diesem Zusammenhang Begriffe, die auch weiterhelfen, wenn der Kater allzugroß wird. Netzkritik - das will auch die Berliner mikro.lounge betreiben, ein Szene-Treff in der Hauptstadt, wo sich die Veranstalter einig sind, daß die Konsumenten-Haltung in Sachen Neue Medien nicht weiterhilft. mikro.lounge in Berlin-Mitte ist ein Ort, an dem das Neueste aus der elektronischen Subkultur zu erfahren ist. Jens Rosbach war dort.

Jens Rosbach: Ein Hinterhof-Club in Berlin-Mitte, braunfurnierte Wände und Pfeiler, abgenutzte schwarze Kunstledersitze, eine lange Bar im Siebziger-Jahre Stil. Früher Hotel des DDR-Ministerrates, heute Szene-Treff der Hauptstadt. mikro.lounge: jeder darf hier rumhängen und rumflätzen, so Thorsten Schilling und sein Verein zur Förderung von Medienkulturen:

Thorsten Schilling: Die Idee war, regelmäßig Veranstaltungen zu machen, auf denen Themen der digitalen Kultur zur Sprache kommen, in ganz verschiedenen Formen, so-wohl visuell, als auch im Gespräch, in der Präsentation von Projekten. Die Idee war auch, daß die mikro.lounge selbst ein Treffpunkt ist, wo sehr disparate Szenen und Leute in einer zwanglosen Atmosphäre zusammen-kommen können. Es ist ein Phänomen in Berlin, daß zwar sehr viel passiert, neue Sachen angeschoben werden, neue Trends gesetzt werden, dass oftmals aber in der Medienkultur die verschiedenen Szenerien sehr disparat sind, also kaum zusammen-kommen, eher medial zusammen-kommen, aber nicht real.

JR: Elektronische Einsamkeit hieß denn auch das Motto, unter dem Leute aus der Kunst-, Uni- und Hackerszene im letzten Jahr zum ersten Mal face-to-face, also nicht nur virtuell, sondern auch physisch zusammenfanden. Internet und Multimedia, für viele Teens und Twens ziemlich trendy, oder hip. Doch zur mikro.lounge kommt nicht, wer sich darstellen will: hier trifft sich die wahre Szene, schlaue Köpfe, in ganz normalen Klamotten, Insider. Thorsten Schilling und Inke Arns vom Trägerverein mikro wollen weder Kult noch Show:

TS: Bis jetzt war unser Problem eher so, daß die inhaltlichen Diskussionen zu lange gingen, so daß die Zeit um an der Bar zu stehen und Musik zu hören eher kurz war und die Leute bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gegangen sind; sowohl die Leute, die zugehört haben, als auch die, die präsentiert haben.

Inke Arns: Also am Anfang hatte man die große Utopie, von wegen mit Medien wird alles besser, mehr Demo-kratie usw. also vor allem das, was die sogenannten „Technoutopisten" in Amerika verkündet haben, und letztes Jahr hat sich dann im Grunde ein-gestellt, was man vielleicht die „IKEA-Mentalität" nennen könnte [lacht]. Also ein etwas pragmatischeres Verhältnis.

JR: Entsprechend pragmatisch auch die Gründe, sich bei mikro.lounge mal einzuloggen:

Gast 1: Ich bin Volker, und mich interessiert das einfach; also ich bin kein Freak oder so...

Gast 2: Ich bin Jürgen Müller, gestalte Internet-Seiten, und wollte mich jetzt wegen der Vernetzung mal ein biss-chen informieren, weil hier Leute sind, die im gleichen Spektrum arbeiten...

Gast 3: Ich bin Jörg Pfeifer, 26 Jahre alt, studiere Kommunikationsdesign, Schwerpunktfach Screendesign, Inter-net und CD-ROM; dementsprechend müßte das hier ganz interessant werden...

JR: Mit trashigen Videoclips und Installationen starten die Gesprächs-runden. Auch wenn im weichen Salon-Ambiente, so werden doch knallharte Themen debattiert: Politische Internet-Aktionen, wie etwa gegen Ausländer-abschiebungen, Multimedia und Gewerkschaft, Frauen in der Netz-branche. Inke Arns, zum Beispiel, hat da so ihre Erfahrungen gemacht:

IA: Oft ist es einfach so, dass, wenn man zu diesen Veranstaltungen aus dem Bereich Multimedia oder Medienkultur geht, dann auf einmal nur noch Männer dasitzen, also vor allem deswegen, weils dann um sogenannte technische Fragen geht usw. Frauen werden nicht direkt angesprochen, oder werden meist garnicht erst eingeladen.

JR: Natürlich gibt’s mikro.lounge auch im Internet. Unter www.mikro-berlin.org kann die Webseite der Veranstalter geladen werden, mit den nächsten Dates, Aktionen, und demnächst auch einer virtuellen Bar. Rund 150 Realgäste lockt das Projekt mit seinen monatlichen Treffen vom heimischen Bildschirm in den Club, auch wenn nicht jeder, wie Design-Student Jörg Pfeifer, nun immer scharf aufs reine Fachsimpeln ist:

Gast 3: Vielleicht ist es auch ‘ne tolle Szene... keine Ahnung, vielleicht gibt’s auch tolle Frauen, wer weiss [lacht]....
 

[Transkription: I. Arns]