Wizards
of OS 2 im
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Von Fischteichen,
WG-Kühlschränken und freier Software für Linux-Magazin, 6/01 Bezeichnenderweise ist 2001 nicht das Jahr der außer Kontrolle geratenen Maschine, die Kubricks Film vor 32 Jahren voraussah, sondern das der Netzwerke der Zivilgesellschaft. Die UNO will mit dem "Jahr der Freiwilligen" die gesellschaftlich-soziale Bedeutung und die volkswirtschaftliche Dimension freiwilliger Tätigkeit zum Ausdruck bringen. Welches eindrucksvollere Beispiel dafür könnte es geben als die freie Software? Es sind nicht länger die Experten allein, die über das Entscheidungswissen, die Kompetenz, das Mandat verfügen, um für andere Wissen zu schaffen. In den Internet-gestützten Austauschpraktiken der freien Software, der kooperativen Erstellung von Enzyklopädien oder dem P2P-Journalismus gibt es ein Kontinuum von wenigen, die sehr viel, vielen, die etwas und sehr vielen, die ein bißchen was beitragen. Alle sind sie Ko-Produzenten, die allermeisten sind Volunteers, viele davon Vollprofis. Die Netzwerkgesellschaft wird nicht von einer Experten-Intelligenz getragen, die für andere denkt, sondern von einer kollektiven Intelligenz, die die Mittel erhalten hat, sich auszudrücken. Daß Menschen kooperieren, um gemeinsame Ressourcen gemeinsam zu nutzen, zu erhalten und weiterzuentwickeln, erscheint auf den ersten Blick ganz selbstverständlich. Halt so, wie das in der freien Software auch geschieht. Doch die Wirtschaftstheoretiker behaupten, so sei das Leben nicht. Kollektive können nicht nur intelligent, sondern auch schrecklich dumm, faul und träge sein -- wie jeder weiß, der mal eine Zeit lang in einer WG gelebt hat. Schon Aristoteles beobachtete: was der größten Zahl gemein ist, wird am geringsten geschätzt. Seine kanonische Formulierung erhielt das Phänomen in den 60ern durch den Humanökologen Garret Hardin. Das "Allmende-Dilemma" besagt, daß ohne Regulierung jeder versuchen werde, den maximalen Nutzen aus einer gemeinsamen Ressource zu ziehen, ohne Rücksicht auf deren Erhaltung. Ein Fischer werde, z. B. mit Hilfe von Dynamit, heute so viele Fische fangen wie möglich, da er nicht davon ausgehen kann, daß ihm seine Konkurrenten morgen noch welche übrig gelassen haben. Generationen von Forschern in Wirtschaft, Politik und Umweltschutz fanden eine Fülle von empirischen und theoretischen Belegen dafür: was frei ist für alle, wird von niemandem geachtet. Individuen handeln rational in ihrem Eigeninteresse und produzieren dadurch Ergebnisse, die für das Kollektiv und damit für jeden Einzelnen irrational sind. Oder im Ergebnis des strukturverwandten "Gefangenen-Dilemmas": Kooperieren lohnt sich nicht. Kollektives Handeln laufe unweigerlich in die Falle der Übernutzung und der Trittbrettfahrerei. Solange noch etwas im Kühlschrank ist, bedient sich jeder, doch beim Einkaufen und Putzen hoffen alle, daß der Leidensdruck bei einem anderen eher die Schwelle zum Handeln übersteigt, als bei einem selbst. Die Ökonomen sehen üblicherweise zwei mögliche Antworten auf diese Tragödie: eine zentrale Regulierung der gemeinsamen Güter z.B. durch den Staat oder ihre Privatisierung, da der alleinige Besitzer einer Ressource ein egoistisches Interesse daran habe, sie nachhaltig zu bewirtschaften. Die Politikwissenschaftlerin
Elinor Ostrom hat in ihrem Buch "Die Verfassung der Allmende. Jenseits
von Staat und Markt" [1] einen dritten Satz von Alternativen
aufgezeigt: die Nutzer eines gemeinsamen Gutes einigen sich untereinander
auf Regeln, deren Einhaltung sie wechselseitig überwachen. Lokales
Wissen stützt lokale Entscheidungen. An einer Fülle von Fallbeispielen
zeigt Ostrom, daß es möglich ist, dem Entweder-Oder von zentraler
Kontrolle und Privatisierung zu entkommen, z. B. durch Genossenschaften,
Kooperativen, selbstverwaltete Betriebe oder Tauschringe. Wissens-Allmende
Bei Fischfanggebieten, Weideflächen und WG-Kühlschränken handelt es sich um materielle Güter. Wie stellt sich das Problem nun bei Wissensgütern dar? Begriffe wie Data-Mining und Knowledge-Harvesting erinnern noch an Landwirtschaft und Bergbau, aber es ist klar, daß es hier nicht um Raubbau an natürlichen Ressourcen geht. Informationelle Produktionsmittel (Compiler, Editoren, CVSe) und Güter sind nicht erschöpflich, weil beliebig kopierbar. Ihre Nutzung schließt die gleichzeitige Nutzung durch andere nicht aus. Was entspräche dann aber einer "Übernutzung"? Etwas aus dem gemeinschaftlichen Pool nehmen, es verändern und ohne Quellcode verkaufen, ohne die Änderungen an die anderen Beteiligten zurückzugeben. Die Geschichte von Unix demonstriert den Effekt. Solange AT&T Unix aus kartellrechtlichen Gründen nicht kommerzialisieren durfte, wurde es weitgehend offen von einer wachsenden Gemeinde von Studenten und Informatikern an Unis und Unternehmen weiterentwickelt. Dann setzte die private Bewirtschaftung von Unix ein. Der "freie" Markt, so hören wir unablässig, bringe Vielfalt hervor, und so entstanden Aix, Xenix, HP/UX, Sinix, Sun/OS und was noch mehr. Alle setzten auf eine gemeinsame Ressource auf, fügten ihr proprietäre Funktionalitäten hinzu, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen und die Anwender in der eigenen Unix-Geschmacksrichtung einzuschließen. Die Einzäunung der Allmende begann. AT&T war als wohlwollender "Leviathan" -- eigentlich ein Möchtegern-Monopolist, dem die Hände gebunden waren -- wenigstens noch in der Lage, eine kompatible Code-Basis für alle zusammenzuhalten. Der "freie Wettbewerb" dagegen, den die "unsichtbare Hand" des Marktes angeblich zum Wohl der Gesamtheit führt, brachte eine Zerstückelung in eingezäunte inkompatible Parzellen. Die Berkeley-Gruppe und dann GNU und Linux steht schließlich für das dritte Modell. Erst sie verwandelten Unix wieder in ein Gemeinschaftsgut. Alle drei ergriffen einfach die Initiative und erwarben sich durch ihre Arbeit Annerkennung von der Gemeinschaft. Sie wurden zu "natürlichen" Autoritäten in einem Prozeß der Selbstorganisation, in dem Regeln und Durchsetzungsmechanismen entstehen. Unter den heutigen Bedingungen der Vermarktung von Wissen ist dafür ein kollektives Eigentum an der gemeinsamen Ressource Voraussetzung. GNU/Linux ist frei für -- fast -- alle. Denn die GPL schließt sehr wohl potentielle Nutzer aus, diejenigen nämlich, die nicht bereit sind, sich an die Auflagen der GPL zu halten. Daß es sich hierbei nicht nur um eine akademische Spitzfindigkeit handelt, belegte jüngst eine Äußerung von Microsoft. Windows-Chef Jim Allchin attackierte die freie Software als innovationsfeindlich, unamerikanisch und schlecht fürs Software-Geschäft. Durch eine Flut von Empörung sah das Unternehmen sich genötigt nachzuschieben, daß es nichts gegen Lizenzen wie die von BSD habe, die es ihnen ermöglichen, freie Software in proprietäre Produkte einzubauen. Allein die GNU GPL sei des Teufels, weil sie es Microsoft verbiete, privat zu verwerten, was eine Gemeinschaft geschaffen hat. Nichts könnte eindrucksvoller belegen, daß das Schließungsverbot genau diejenigen trifft, gegen die es die freie SW schützen soll. Die knappe Ressource sind
hier also nicht die Bits, sondern die Zeit und die Aufmerksamkeit der
freien Entwickler, Dokumentatoren und Tester. Deren Motivation geht jedoch
in die Binsen, wenn sie feststellen, daß Dritte auf ihrer Hände
Arbeit ihr eigenes Süppchen kochen. Das Problem ist nicht, daß
Leute sich aus dem gemeinsamen Pool bedienen, ohne etwas zurückzugeben
(zumindest, solange es noch genug Leute gibt, die Arbeit hineinstecken),
sondern daß Firmen ihre eigenen Weiterentwicklungen nicht mit der
Gemeinschaft teilen. Sie vernichten damit die erschöpfliche Ressource
Motivation. Wissensökologie
Wissen ausschließlich als Ware zu betrachten, blendet alles daran aus, was Gemeingut ist. Sieht man die aktuellen Gesetzentwürfe zum Urheber- und Patentrecht an, so muß man glauben, die Rechte der Autoren und Verwertungsindustrien seien naturgegeben und absolut. Die Erträge aus Innovationen werden privatisiert, doch die Kosten für die Voraussetzungen der Innovation -- vom Bildungssystem, über den Zugang zu veröffentlichtem Wissen in Bibliotheken bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk -- werden ausgeblendet und stillschweigend von der Gemeinschaft getragen. In einem vielbeachteten Aufsatz plädiert der amerikanische Rechtsgelehrte James Boyle für eine Wissensumweltschutzbewegung [2]. Darin vergleicht er unsere Situation heute mit dem Umweltschutz in den 50er Jahren. Es gab Proteste gegen verseuchte Seen und Smog-produzierende Schlote, aber was noch fehlte war ein allgmeines Rahmenkonzept, ein Satz von analytischen Werkzeugen und damit eine Wahrnehmung gemeinsamer Interessen in vermeintlich zusammenhanglosen Einzelsituationen. Ähnlich nehmen wir heute Katastrophen in der Wissenumwelt wahr: Micrososofts monopolistische Praktiken, die Patentierung von menschlichen Genen und der Einsatz von Copyrights, um Kritiker der Scientology zum Schweigen zu bringen. Ähnlich fehlt heute ein übergreifendes Konzept wie die Ökologie, das unsere Wissensumwelt als komplexes System aus interagierenden Bestandteilen sichtbar macht, ihr eine vergleichbare Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte verschafft und es erlaubt, Koaltionen aus der freien Software, der Kampagnen gegen Gen- und Software-Patentierung, der Bibliotheken, der Hochschulen, der Bewegungen für eine informationelle Selbstbestimmung des Südens usw. zu bilden. Wir brauchen, so Boyle, eine politische Ökonomie des geistigen Eigentums. Wie die Umweltbewegung die Umwelt erfand, damit sich unterschiedliche Interessengruppen als Umweltschützer verstehen konnten, so müssen wir heute die public domain, das Gemeingut Wissen erfinden, um die Koalition hervorzubringen, die es schützt. Ein Anfang scheint gemacht. In der letzten Zeit häufen sich Veranstaltungen die nach dem Eigentum an Wissen fragen. So auch Anfang Mai eine Konferenz der Böll-Stiftung in Berlin [3]. Dort begann der Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen seinen Vortrag mit der politischen Priorität: "Die gegenwärtige Auseinandersetzung um den Besitz von Wissen kann letztlich nur politisch, nicht primär ökonomisch und nicht primär technologisch, entschieden werden, genauso wie die um die Verfügung über Wasser oder die Reinhaltung der Umwelt. Die Frage nach dem Besitz von Wissen, d.h. letztlich nach dem Zugriff auf Wissen, hat eine ähnliche universale Dimension." Ein Schutz der kollektiven Intelligenz paßt nicht in unsere derzeitigen Regelungen des "geistigen Eigentums." Urheber- und Patentrecht kennen nur individuelle Autorinnen und Erfinder, allenfalls noch kleine Gruppen, und Unternehmen als Eigentümer. Kontributorische Wissenskulturen, anwendergestützte Innovation und modulare Wissensstrukturen, die vieläugig inkrementell fehlerbereinigt und weiterentwickelt werden, sind darin nicht vorgesehen. Wie Boyle fordert auch Ostrom,
daß wir intellektuelle Werkzeuge benötigen, um die Logik des
kollektiven Handelns und die Möglichkeiten von selbstverwaltenden
Institutionen, gemeinsame Ressourcen zu regulieren, besser zu verstehen.
Ein Ansatzpunkt wäre es, die Mechanismen zur Entscheidungsfindung
und Konfliktlösung, die sich in den verschiedenen Projekten der freien
Software entwickelt haben, zu untersuchen, um nicht nur den Code, sondern
auch die Umwelt zu optimieren, in der er entsteht. Ein anderer ist es,
die Wissens-Allmende immer wieder zum Thema zu machen, damit die grundlegende
Fragen der Wissengesellschaft nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit
verhandelt werden: Wieviel "Wissen als Ware" können wir uns leisten?
Wieviel öffentliches und gemeinschaftliches Wissen brauchen wir?
Medienwissenschaftler an der
Humboldt-Universität Berlin und einer der Planer der Konferenz "Wizards
of OS 2 -- Offene Kulturen & Freies Wissen", 11.-13. Oktober
in Berlin [4], die sich mit den angesprochenen Themen
beschäftigen wird. [1] Elinor
Ostrom, Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt, Mohr
Siebeck, 1999 (das englische Original ist nur ein knapp ein Viertel so
teuer: Governing the commons. The evolution of institutions for collective
action, Cambridge University Press, 1990) [2] James Boyle,
A Politics of Intellectual Property: Environmentalism For the Net?, 47
Duke Law Journal 87 (1997), http://www.law.duke.edu/boylesite/intprop.htm
[3] Gut zu
wissen. Links zur Wissensgesellschaft, Konferenz der Heinrich Böll
Stiftung, 4.-6. Mai, Humboldt-Universität zu Berlin, http://www.bildung2010.de
[4] Wizards
of OS, http://wizards-of-os.org
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