Eine neue Ökonomie oder weiterhin Marktwirtschaft?   

Prof. Dr. Norbert Szyperski  
 
 

 

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Meine Damen und Herren, es ist sicher nicht einfach, von außen voll nachzuvollziehen, was in Ihren Gruppen passiert. Lassen Sie mich aber dennoch versuchen, einige Fragen anzusprechen. Ich möchte fünf Punkte herausheben: Einmal möchte ich gucken, ob das wirklich die alte Ökonomie ist oder ob die neue Ökonomie um Sie herum sich schon so verändert, daß Sie möglicherweise phantastisch da reinpassen. Ich möchte ganz kurz neue Fragen des Gesellschaftsmodells ansprechen, um dann der Frage nachzugehen, ob OSS -- und ich sage jetzt immer einfach freie Software dafür -- in der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung festzumachen ist. Auch die Organisationsmodelle, von denen ich gestern und heute etliche gehört habe, sollten wir noch einmal betrachten, um schließlich das Spannungsverhältnis zwischen OSS, freier Software und der wettbewerblichen Marktwirtschaft zu beleuchten. Dabei werde ich auch immer versuchen herauszustellen, wo und wie man die von Ihnen ja auch als Bewegung verstandenen Aktivitäten unterstützen kann.  

Ich glaube, wir stecken mitten in einem ökonomischen Wandel und zwar nicht nur quantitativ, sondern ganz stark qualitativ und strukturell. Informationstechnik, Kommunikations-, Telekommunikations-, Medientechnik, was immer Sie da zusammenfassen wollen, haben nicht nur eine neue kulturtechnische Landschaft geschaffen, sondern sie haben völlig neue Voraussetzungen für Wirtschaften mit sich gebracht. Nach der Einführung der Eisenbahn -- das ist ja auch noch nicht so lange her, etwa 150 Jahre -- haben sich wirtschaftliche Prozesse in den Ländern, wo die Eisenbahn wirklich Infrastruktur im besten Sinne wurde, wesentlich verändert. Wenn wir heute von der Internet-Ökonomie sprechen, dann ist das nicht nur ein Schlagwort und nicht nur ein Hinweis darauf, daß wir ja moderne Betrachtungen anstellen wollen. Internet-Ökonomie ist nicht zu Ende formuliert. Es gibt ein paar Bücher. Es gibt einen Haufen Diskussionen darum. Aber die Diskussionen sind tiefgreifend, weil auch das Ordnungsmuster der Wirtschaft, das man etwa für die Wirtschaftspolitik zugrunde legt, mit in Frage gestellt werden muß. Denn dieses ist primär aufgebaut auf die Bearbeitung, Verwaltung, Nutzung materieller Ressourcen, seien es die materiellen Ressourcen, die wir auf der Erde vorgefunden haben, oder seien es die materiellen Güter, die wir mit Hilfe dieser Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft geschaffen haben.  

Was schon heute deutlich ist, sind fünf, sechs Punkte, die die Internet-Ökonomie wesentlich von der herkömmlichen unterscheiden werden. Das eine ist das Grenzverständnis. Man spricht heute noch von Volkswirtschaft oder Nationalökonomie. Wo ist die Grenze? Wenn wir global und regional wohl verstanden als zwei Pole betrachten, dann müssen wir fragen, wo orten wir uns dazwischen? Ist die Beziehung zwischen München, Mailand und Antwerpen oder Rotterdam als Community-Verbund möglicherweise viel größer, als das, was München mit Bayern verbindet? Das heißt, wir werden neue Grenzverständnisse einführen müssen. Wir müssen uns ein neues Strukturverständnis erarbeiten. Das bezieht sich, und es wird schon sehr intensiv diskutiert, eigentlich auf alle Organisationen, natürlich auch auf die Unternehmen, wo man von der Unternehmung mit fließenden Grenzen spricht. Sie erinnern sich vielleicht noch an Zeiten, wo die Verwaltung einer Unternehmung in einem Hauptgebäude untergebracht war. Manche machen es immer noch so. Man hatte einen Zaun drumherum, man ging morgens rein und kam abends raus. Diese Definition von Grenze der Unternehmung ist nicht durchhaltbar. Man muß nicht gleich von Virtualität sprechen, aber zumindest von den fließenden Grenzen auch hier.  

Das Kooperationsverständnis hat sich neu definiert. Wenn Sie das Online-Dabeisein miterleben, daß Sie von überall, wo immer Sie sind, mitmachen -- manchmal redet man vielleicht auch zuviel mit --, aber man kann auf jeden Fall mitmachen, wo immer man ist. Das Kommunikationsverständnis, ein wesentlicher Teil des Wirtschaftens, beobachtet sehr kritisch, wie die Massenmedien individualisiert werden -- wenn Sie daran denken, was digitales Fernsehen im Konzept bedeutet, also nicht nur eine Digitalisierung des Broadcastings. Und wenn Sie auf der anderen Seite sehen, daß individuelle Kommunikation, eine Email an Herrn oder Frau Y, im Grunde publik gemacht wird. Ich nutze das gleiche Instrument zur gleichen Zeit und mache damit im begrenzten oder größeren Rahmen Broadcasting. Wann immer Sie in Ihre Mail-Körbe reinschauen und sehen, was da alles drin ist, dann sehen Sie, wie verführerisch einfach dieses Broadcasting von an sich individueller Kommunikation sein kann.  

Das Produkt- und Produktionsverständnis hat sich verändert. In der Zeit der großen Anlagen und großen materiellen Güter sprach man davon, daß man jemanden beliefert. Man hatte einen Abnehmer. Das klingt schon fast so, als ob der andere eine Behörde sei. Dann hatte man den Kunden entdeckt und machte Marketing. Und was man heute macht, ist Wertschöpfungspartner suchen. Das heißt, statt dem individuellen und alleinigen Produzieren und dann Vertreiben und Weitergeben, ist in weiten Teilen der Produktion heute schon der Beteiligte auf der Nachfrageseite Koproduzent. Das ist ein Begriff, den ich ja immer wieder in der Diskussion bei Ihnen hier gehört habe. Und dann bleibt eine ganz spannende Frage, die man im Augenblick nicht beantworten kann: Bei welchen Wertschöpfungsstufenabschnitten wird die Bezahlung erfolgen? Wo liegen die Punkte, die es einem Partner interessant erscheinen lassen, von seinen abstrakten Verfügungsmöglichkeiten, repräsentiert durch Geld, für sich oder für etwas Gebrauch zu machen? Wenn Sie sehen, daß die Handys heute fast gratis dazu gegeben werden, damit man einen Vertragsabschluß zur Nutzung der Netze macht, oder wenn Sie sehen, daß AOL jetzt zumindestens angekündigt hat, Ihnen Netz-Computer zu schenken, damit Sie auf AOL-Netzen und Servern Ihre Web-Aktivitäten und die übrigen Internet-Aktivitäten tun werden, dann ist es noch völlig offen, wo demnächst wirklich Kasse -- im besten Sinne sage ich das -- gemacht wird.  

Das Distributionsverständnis: Wenn Sie digitale Lieferung betrachten, was kann man digital liefern? Verlagert man nicht nur manches? Wenn ich so über das Internet Riesenmanuskripte bekomme, die nicht bloß ich, sondern vielen zugeschickt wurden, und dann werfe ich meinen kleinen Drucker an, und der arme Kerl muß 60, 80 Seiten 'runternudeln' -- ich wünsche mir bei solchen Fällen manchmal, ich hätte die gelbe Post wieder. Das heißt, was transportieren wir wo, wie, in wessen Interesse, vernünftig, Ressourcen-sparend und in dem Sinne auch ökonomisch?  

Das heißt also, das Marktverständnis selbst ist nicht mehr so eindeutig. Das war ja früher, in der uralten Zeit mal ganz eindeutig. Da sind Sie auf den Markt gegangen, und da standen Händler und haben etwas abgenommen oder auch etwas getauscht. Dann hatten wir die Zeit, wo wir zumindestens stationär sicher sein konnten, daß, wenn wir in die Stadt fahren, da jemand ist. Dann wurde durch den Versandhandel der Markt schon mobiler. Aber wenn Sie heute in Portale reingucken, wenn Sie elektronische Market Places betrachten, wenn Sie sich die Organisation der elektronischen Auktionen anschauen und da mal mitmachen, dann merken Sie, daß hier ein ganz neues Verständnis von Wer-will-was-wem-Geben-Kaufen-Verkaufen aufkommt. Da bieten Sie ihren alten Laptop zur Versteigerung an, aber zur gleichen Zeit finden Sie in der Auktion ebenfalls fabrikneue Automobile, nicht einmal der ausgelaufenen Reihe. Das heißt, wir 'basarisieren' im besten Sinne, nämlich ohne Festpreise und ohne Preisausschilderung für das Gut und für immer, unsere Marktaktivitäten. Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Am Ende machen wir Wirtschaft nicht um der Wirtschaft willen, sondern weil Menschen irgendwelche Bedürfnisse haben. Das heißt aber, der Spielplatz, der Playground verändert sich dramatisch. Folglich müssen sich die Regeln anpassen. Die neuen Regeln, die zum Teil so technokratisch diskutiert werden: Wie kann man Übertragung sicherer machen? Hochinteressant und wichtig, aber für mich viel, viel wichtiger ist die Frage: Wie kann man ein geschäftliches Vertrauensverhältnis in dieser Medienwelt etablieren, wie man das üblicherweise mit seinen Stammlieferanten oder Stammkunden haben konnte? Und so können Sie eins nach dem anderen durchgucken. Das geht in die Rechtsverbindlichkeiten hinein. Wie macht man internationale Kleingeschäfte? Welche Rechte gelten da? Ich will das hier gar nicht weiter ausführen und Ihnen nur zeigen, daß es falsch wäre, Ihre Betrachtungsweise auf eine Welt zu richten, die Sie vielleicht mal so erlebt haben und zu glauben, die wird so bleiben.  

Und die Player in diesem Spiel ändern sich. Ich sage es mal ein bißchen despektierlich: Meine Kinder als die Freaks sind jetzt ganz normale Bürger und bringen aber all ihre Erfahrung und all ihr Wissen und Können mit in diese Welt. Und wenn wir von der Wissensgesellschaft sprechen, dann sagen wir eines ganz betont, zumindestens implizit: Das Wichtigste, was es gibt, das sind die Menschen, das ist unser humanes Vermögen. Formal nennt man es manchmal Humankapital als wichtigsten Faktor. Daraus erwächst konsequenterweise, daß nicht Produkte im Vordergrund stehen, sondern Dienstleistungen. Das fällt uns oft nicht so leicht. Ich bin geborener Berliner und ich weiß, wie schwer die Berliner es mit dem Dienen haben. Die Freundlichkeit ist uns ja nicht gerade von Hause aus angeboren. Aber diese Dienstleistung hat in der Wertschöpfungskette eine neue immaterielle Kraft. Darum ist es nicht verwunderlich, daß um OSS oder um Linux herum wirtschaftliche Aktivitäten entstehen. Wenn ich das richtig gehört habe, sagte fast jeder hier, zumindestens jeder, der aus Deutschland kam und dazu sprach: 'Ja, im übrigen habe ich hier eine Aktivität, bin ich da selbständig, mache ich jenes.' Also hoch energiegeladene Persönlichkeiten, die in dieser Wertschöpfungskette ihre Position gefunden haben.  

Nun ist ganz entscheidend: Was immer wir ändern, wir werden den förderativ-wettbewerblichen Grundprozeß einer Wirtschaft nicht ändern wollen. Und warum? Der Wettbewerb ist der einzige uns bekannte Mechanismus. Und das ist nicht ein Wettbewerb um die Verteilung des Geldes allein, sondern ganz allgemein. Ja, bis in die sportlichen Regionen hinein ist der Wettbewerb der einzig uns bekannte, einigermaßen brauchbare Mechanismus für selektive Evolution. Die permanenten Anpassungsschritte sind oft sehr schmerzhaft, wenn man ein Fehlprodukt entwickelt hat oder wenn man sich an etwas beteiligt hat und überhaupt nicht in den näheren Kreis der Sieger kommen konnte, obwohl man zielorientiert Gewinner des Wettbewerbes werden wollte. Das führt dazu, daß wir eben permanente Anpassungsschritte vornehmen und daß uns die großen Anpassungskatastrophen, wie wir sie etwa im Übergang von 1989 hier in Berlin und in Deutschland erlebt haben, im Prinzip erspart bleiben. Wenn man dies aber als Prinzip akzeptiert, dann muß man jede Bemühung, dieses System zu verändern -- und zwar schrittweise durch das, was man selber tut --, für sinnvoll halten, wenn man von dem Gefühl ausgeht, die Systemstruktur, die Systemausprägungen passen nicht ausreichend zu dem, was man für richtig hält.  

Ich hab leider das Buch von Ralf Darendorf nicht gelesen, sondern nur über dieses Buch, das jetzt herausgekommen ist. Da versucht er Gesellschaftsmodelle um den Begriff und das Verständnis der Freiheit herum zu konzipieren. Und nebenbei bemerkt, Geld ist das interessanteste Kulturgut, um mir im materiellen Bereich Freiheit zu verschaffen. Denn ich muß mich nicht anmelden, wenn ich etwas kaufen will, ich muß nicht einem Verein beitreten, wenn ich etwas erwerben will, sondern es reicht aus, daß ich demnächst vielleicht electronic Money verfügbar habe. Wenn ich diese Freiheit jetzt mal als eine Kerngröße nehme, dann ist das Modell, von dem Sie hier ausgehen -- ich sage 'Sie' und nicht 'wir', weil ich schwindeln würde, wenn ich sagte, ich sei Mitglied Ihrer Community --, freie, offene Software: frei im Hinblick auf den Source Code, frei im Sinne von gebührenfrei -- ich will nicht sagen 'kostenfrei', dann gehen den Betriebswirten natürlich die Haare hoch: kostenfreie Entwicklung kann es überhaupt nicht geben, aber gebührenfreie Nutzung kann es geben. Das heißt schon zweimal frei. Und wenn Sie dann noch das immer wieder herausgehobene Moment der freien Mitwirkung hinzunehmen, dann haben Sie gewissermaßen in diesem Dreieck der drei verschiedenen Freiheitsbetrachtungen ein Netz konzipiert, von dem Sie ausgehen, daß es für die Arbeit, die vor Ihnen liegt und die Sie leisten wollen, eine sinnvolle Modellierung darstellt.  

Daß das in den einzelnen Komponenten -- nicht in dem Dreiklang, aber in den einzelnen Komponenten -- die Wirtschaft heute in weiten Teilen ebenfalls schon beschäftigt, hatte ich bezogen auf die gebührenfrei zur Verfügung gestellten Güter für Dienstleistung angesprochen. Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß man Ihre herrlichen Produkte ohne eine durch Lizenzen oder durch Verfalldaten im Leasing-Stil eingeschränkte Nutzung auf den Markt bringen kann. Ob Sie jetzt einen Rückpreis erwarten für die Investitionskosten, ist eine völlig andere Frage. Darauf komme ich gleich noch einmal zu sprechen. Aber die freie Mitwirkung ist etwas, was praktisch wie eine Epidemie durch die gesamte dienstleistende und wissensintensive Industrie hindurchgeht. Nicht umsonst versucht man Kooperation und Competition, also Wettbewerb, auch begrifflich in Cooptition zu fassen, weil wir nicht mehr so scharf sagen können: Wer ist eigentlich mein Gegner oder mit wem mache ich gemeinsame Entwicklung und mit wem treffe ich mich nur beim Vertreter, möglicherweise beim Kunden, als Konkurrent? Koproduktion ist der Begriff für die Dienstleistung schlechthin. Wenn Sie heute z.B. das Gesundheitswesen neu diskutieren, sprechen Sie nicht mehr über die Frage: Was macht der Arzt oder was sollte der Arzt mit dem Patienten tun, wenn der in die Klinik oder in die Sprechstunde kommt? Sondern wir gehn davon aus, daß derjenige, der noch leben will, selber Koproduzent seiner Gesundheit sein muß.  

Daraus ergeben sich aber auch sehr gute Anknüpfungspunkte für die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der freien Software. Wissen schaffen und transferieren ist eine globale Aufgabe. Die kulturelle Entwicklung hat dazu geführt, daß wir die Freiheit von Forschung und Lehre bekommen haben. Das war überhaupt nicht selbstverständlich. Gucken Sie in die Geschichte zurück. Wenn jemand begabt war, etwas zu erfinden, dann wurde er von irgendeinem Souverän eingesperrt und sollte für den Gold zu machen lernen. Das heißt, die Freiheit des Wissens zu verteidigen, ist wahrscheinlich die wichtigste Aufgabe, die wir in der Zukunft vor uns haben. Das bedeutet aber auch, daß wir freie und kooperative Veranstaltungen zusammen sehen müßen mit kompetitiven Veranstaltungen. Also, Wettbewerb rauszuwerfen wäre ja gerade so, als würde man den Ur-Antrieb auch in der Wissenschaft, miteinander um die bessere Lösung zu ringen, rausschmeißen. Nein, wir wollen doch gerade diese Formen der Verbesserungen des Wissens voranbringen. Aber dies wollen wir tun in einer offenen Gesellschaft, wo beliebig daran mitgewirkt werden kann. Das ist natürlich ein neuer Aspekt in Ihrer Form der Entwicklung. Üblicherweise muß man sich, wenn man an einer fachlichen Bearbeitung im wissenschaftlichen Bereich teilnehmen will, vorher schon qualifiziert haben, sonst wird man gar nicht zugelassen. Das heißt, Sie können nicht einfach sagen: 'Ich schreib jetzt mal als Nicht-Jurist einen vernünftigen Artikel über bestimmte Rechtsprinzipien.' Dann gucken die sich an und sagen: 'Na gut, das können Sie als Journalist machen, aber es nimmt sowieso keiner ernst.' In der Unvoreingenommenheit, mit der Sie sagen: 'Wer Beiträge leisten kann, kann beitragen', liegt, glaube ich, eine sehr wichtige Aufgabe, mit der Sie den Wissenschafts- und Entwicklungsbereich erweitern. Zur gleichen Zeit dringen Sie mit Ihren Entwicklungen soweit vor, daß sie anwendbar sind. Ich habe immer wieder durchgehört, so ganz gleich anwendbar ist die freie Software nicht -- vielleicht anwendbar unter gleichen Könnern, aber nicht unter den anderen, die den Umgang mit Software nicht beherrschen.  

Die Finanzierung ist eine völlig sekundäre Frage. Wir finanzieren unsere Wissens- und Entwicklungsproduktion auf vielfältigste Weise. Das reicht von der staatlichen Förderung über generelle Steuern und spezielle Abgaben, über Stiftungen und Sponsoren, über Transferleistungen, wo man heute für Bücher z.B. Geld zurückbekommt, bis hin zu der Organisation der Autoren in der Verwertungsgesellschaft Wort und bis hin zu Forschungsaufträgen genehmigt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der National Science Foundation oder wo auch immer man eine Finanzierung finden kann. Die Frage, wo jetzt im Wissensbereich eine sinnvolle Eingrenzung der Transferleistung liegt, ist sehr, sehr schwer zu beantworten. Ich frage mich, solange ich da an der Uni tätig war und bin, wie können wir überhaupt Transfer produzieren, wenn nicht über Köpfe? Nun sagen Sie, es wäre gut, wenn die Software, die an den Universitäten produziert wird, auch sofort und ohne Einschränkung veröffentlicht würde. Da bin ich voll dafür. Es kamen aber auch andere Hinweise: Kann man damit überhaupt etwas anfangen? Das heißt, so wie ein Text geschrieben worden sein kann, um Transfer zu ermöglichen, kann er auch geschrieben sein, um eine ganz interne Zirkeldiskussion zu befruchten. Das gleiche können Sie in jeder Sprachform machen, also auch in Computersprache, als auch mit Software. Das heißt, die Frage der Nutzbarkeit setzt immer schon voraus, daß der Transfer auf bestimmte Anwendungsfelder gerichtet wird. Und da greift, meiner Ansicht nach, ein Gesichtspunkt, der gestern gut angesprochen wurde: Was wollen Sie bewirken? Gehen Sie davon aus, daß Open Software und die damit fast wissenschaftlich frei zur Verfügung gestellten Ergebnisse gewissermaßen Spuren legen wollen, die Industrie voranbringen wollen oder wollen Sie immer im Schritt der Industrie Bestehendes perfektionieren? Vielleicht ist deswegen die Begeisterung der Deutschen für OSS so groß. Wir sind nicht ein Land der Innovatoren. Wir sind groß im Erfinden und groß im Perfektionieren, aber haben in aller Regel Angst, das selbständig und alleine in die Märkte zu bringen.  

Aber noch ein anderer Punkt in der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung: Wir leben, oberflächlich betrachtet, in der sogenannten Freizeitgesellschaft. Wenn Sie sich mal ein Jahr vorstellen, dann haben wir 8760 Stunden zur Verfügung. Die Erwerbstätigkeit in Deutschland macht nur noch 1900 Stunden aus -- im Gegensatz zu Japan, wo es etwa noch 2300 sind, aber irgendwo um diese Größe pendelt sich das in der Welt ein. Wenn Sie nun davon ausgehen, daß wir zehn Stunden am Tag Schlaf, Ruhe, Speisen, Pflege brauchen, dann bleiben insgesamt 3210 Stunden im Jahr übrig. Was ist das für eine Zeit? Wollen wir die jetzt wieder in die Erwerbszeit integrieren? Wollen wir sie nur in die Schlaf-, Pflege- und Entertainment-Zeit integrieren? Oder -- und das ist ein Vorschlag, der sehr intensiv z.B. von Amitai Etzioni im Zusammenhang mit der Reaktivierung des Kommunalverständnisses und der kommunalen Aktivitäten diskutiert wird --, wollen wir die Zeit investieren, um für unsere Gemeinschaften konstruktiv Beiträge zu leisten, die nicht in irgendeiner Form über Geld abgerechnet werden? Das sind Sozialleistungen, das sind Sportleistungen, das ist aber auch die Selbstverwaltung unserer Organe, das ist das Lehren und Lernen außerhalb der geordneten Schulen, das ist aber auch das Erziehen der Kinder, das ist das Machen der Familie und ich weiß nicht was alles. Das heißt, wenn wir so einen großen Teil der verfügbaren Zeit Freizeit nennen, dann mißdeuten wir schon ihre Funktion. Darum gibt es Bemühungen, das als Sozialzeit, Gemeinschaftszeit oder wie auch immer -- mir ist da jedes Wort lieb -- zu bezeichnen. Wichtig ist aber, wenn wir a) sagen, wir haben diese Zeit, und b), daß die Kreativität, das heißt das Schaffen neuen Wissens und neuer Technologien und neuer Anwendungsformen für unsere Gesellschaft so bedeutsam ist, dann muß man natürlich fragen, was man sinnvoll mit dieser Zeit anfangen kann, um die Kreativität überhaupt freizusetzen. Und da finde ich diesen Ansatz begrüßenswert, den Sie gewählt haben, daß jeder sein Schärflein beitragen kann, -- der eine will vielleicht gerne dokumentieren, und das macht dem einen riesigen Spaß, obwohl andere sagen, daß ist doch nicht mehr auszuhalten, oder andere wollen wirklich neue Dinge machen. Aber dann bleibt immer wieder die eben auch gestellte Frage: Wollen Sie den Zug anführen oder wollen Sie mitfahren? Und ich glaube, daß man da, wo Wissenschaft nahe ist, und da, wo solche Aktivitäten, wie die Ihrigen angesiedelt sind, den Anspruch der Vision in den Vordergrund stellen sollte. Ob in zwanzig Jahren noch Leute Lust haben, Betriebssysteme zu verbessern, ob es in zehn Jahren überhaupt noch welche geben wird, wie die Strukturen der Software auf der Basis von Komponentenplattformen aussehen werden -- so genau wissen wir das ja alles gar nicht.  

Zur Organisation, die Sie in sich selbst aufgebaut haben: Da glaube ich, kann man einen sehr guten Ansatz finden. Sie plädieren für eine Organisationsform in der Zusammenarbeit von Selbständigen -- im besten Sinne des Wortes. Philipp Lersch, ein Psychologe, hat einmal autonome und nicht-autonome Charaktere unterschieden. Der autonome Mensch wird schon ganz unruhig, wenn ihm irgendetwas vorgegeben wird. Er möchte selber Ziele setzen. Er möchte selber an der Gestaltung mitwirken und ist dann bereit, auch bis zum Letzten seine Kraft einzusetzen, damit es sinnvoll wird. Der Nicht-Autonome, der wahrscheinlich auch nichts dafür kann, daß er so ist, ist genau umgekehrt gepolt. Wenn der zuviele freie Entscheidungsmöglichkeiten hat, dann wird der so unruhig, daß er sagt: Du sag mir doch, was ich machen soll, und dann mache ich das. Das ist nicht eine Wertung, sondern das ist eine Verteilung von Charakteren in einer Gesellschaft. Und Sie organisieren im Prinzip Ihre Arbeit weltweit für Einzelkämpfer, wenn Sie so sein wollen, und für autonome Charaktere, die in der Regel sehr stark und immer dicht am Unternehmerischen dran sind.  

Ich fand auch die Diskussion über die Ergebniskontrolle sehr gut. Und damit nehmen Sie genau die Funktion hier auf, die Sie in den wissenschaftlichen Bereichen kennen. Peer-Review-Technik wurde gesagt. Das heißt, durch das Wiederholen von Experimenten wird die Aussage erst zuverlässiger. Und etwas anderes ist wichtig: Die Informatik, eine besonders in Deutschland stark als Computer-Science beeinflußte Disziplin und damit mathematisch- logisch- beweistheoretisch orientiert, hat es nötig, Entwicklung insofern als Kontrastprogramm aufzubauen, als man im ingenieurtechnischen Bereich Forschung nur durch Entwicklung machen kann. Es gibt immer einige Schritte, die Sie konzeptionell vorausdenken können, aber dann reicht der Rahmen des Wissens nicht aus. Dann müssen sie experimentell herangehen, dann müssen Sie Forschung durch Entwicklung machen. Und es tut der Disziplin in Deutschland schlechtweg gut, wenn Sie das vorantreiben würden. Sie schaffen also eine neue Kultur kreativen Gestaltens und Prüfens in -- und jetzt sage ich mal nicht Software, sondern: Soft-Disziplinen. Ich würde mir wünschen, daß viele Disziplinen, die nicht die durch die Natur vorgegebene Härte der Strukturen naturwissenschaftlich einbinden können, einen ähnlichen Mechanismus aufbauen würden, wie Sie ihn aufbauen oder aufgebaut haben.  

OSS oder frei Software und wettbewerbliche Marktwirtschaft: Ich kann da überhaupt keinen Gegensatz im Prinzip sehen. Sondern, was ich sehe ist, daß man ausgeklinkt aus dem Erwerbsbetrieb etwas tun möchte, wofür man Talente hat, wo andere akzeptieren, daß die Talente Beiträge zu leisten vermögen, und wo -- darauf legt ja jeder irgendwo wert -- eine kleine Marke drauf kommt: Den Beitrag habe ich geleistet. Und wenn Sie sich anschauen, was Wissenschaftler in jeder Ebene und in jeder Disziplin tun, damit das, was sie erdacht haben, einigermaßen in die Welt kommt und angenommen wird, ist doch das Vehikel 'gemeinsame Software' eine ideale Transportmaschine, um diese Funktion zu erfüllen. So, wie jeder sich freut, wenn er mal wieder zitiert wird und sagt: 'Ach, das war nicht ganz umsonst. Drei haben es doch gelesen und einer hat es sogar notiert.' So kann man natürlich fragen, ist der Citation Index wirklich nur für Veröffentlichungen in Journals denkbar oder ist er nicht auch denkbar als ein Nachweis von Beteiligung an gemeinsamen Software-Entwicklungen? Aber dann die Nutzung im wirtschaftlichen Rahmen -- da haben sich viele Generationen schon in anderen Zusammenhängen Gedanken gemacht: Wie macht man gemeinsam etwas und wie nutzt man es gemeinsam? Die Genossenschaften sind ja nicht entstanden, weil andere Leute irgendwo gesagt haben, Sie müssen sich zusammenschließen. Sondern Genossenschaft oder Cooperatives in anderen Ländern sind entstanden, weil man eine gemeinsame Aufgabe gemeinsam erledigen wollte. Nicht mehr nur so, daß man sagt: Wir machen das nur für uns als Mitglieder der Genossenschaft, sondern man stellt das auch anderen zur Verfügung. Ich weiß, daß da noch andere Eigentumsverhältnisse gelten, aber das kann man ja alles diskutieren.  

Wichtig scheint mir nur, daß Sie zwei Möglichkeiten haben: Einmal wirklich im Sinne der freien Software die Welt des Wissens zu bereichern, aber mit Wissen, das man auch nutzen kann. Und zum anderen, daß Sie sich sicher über kurz oder lang gruppenweise oder einzeln, wie ja schon angedeutet, Gedanken machen, wie Sie mit Erarbeitetem dann auch an den normalen Markt gehen. Sehen Sie bitte die Entwicklung der Welt nicht zu schwarz-weiß und beobachten Sie einmal, wo viele Entwicklungen, die heute von Marktführern der Branchen getragen werden, herkommen. Und schauen Sie bitte auch, daß fast jede neue Branche -- und wir haben in letzter Zeit viele Branchen erlebt -- von Firmengruppen getragen wird, die in der Regel für diese neue Branche neu gegründet wurden. Da können Sie bei IBM anfangen, da können Sie EDS und Intel nehmen oder Microsoft, Cisco, AOL, Amazon. Und was wird jetzt kommen? Was werden die Netzwerk-offenen Institutionen für Haus und Office sein? Wichtig ist also, daß man die Entwicklung der Umwelt beeinflußt -- das war ja unser Plädoyer -- und zur gleichen Zeit aber auch darauf reagiert. Denn wenn man nicht eine Positionierung hat, die den gesellschaftlichen Beitrag erkennen läßt, ist es auch schwer, Anerkennung, Sponsoring oder was auch immer zu finden. Ich fand die Hinweise, daß die Gebühren für das Kaufen einer Software in der Regel nicht so ins Gewicht fallen, schon beachtlich. Die anderen Aspekte, die Sie betonen, nämlich die freie Mitwirkung und die freie Verfügbarkeit des, wenn Sie so wollen, Eingemachten, das sind, glaube ich, die entscheidenden Punkte. Wenn es dabei auch mal ein paar Mark Gebühren gibt und Sie über Ihre Organisationen dadurch die Arbeit erleichtern können, dann, glaube ich, ist das keine schwierige Frage.  

Letzter Punkt also: Ich möchte Ihnen Hoffnung machen. Ich bin sogar der Meinung, daß Sie nicht einmal unbedingt Angst vor der Patentierung haben müssen. Wissen Sie, Qualität setzt sich durch. Made in Germany ist in England zur Abwehr der deutschen Produkte kreiert worden, und ganz kurze Zeit danach war es das deutsche Gütezeichen. Vielleicht ist es eines Tages ein Software-Gütezeichen, wenn da drauf steht: OSS proofed 
 

(Transkription Katja Pratschke)