Kei
Ishii & Bernd Lutterbeck
Technische Universität Berlin Forschungsgruppe Internet Governance 17. Juli 1999 Open Code and Open Societies [1]
Inhalt
Ever the Imperialist, Ever the Lawyer Regulierung durch Code oder Lex Informatica Internet Governance statt starrer rechtlicher Regularien
Die Fragestellung:
Lawrence Lessig von Harvard ist
wahrscheinlich derjenige amerikanische Rechtswissenschaftler, der der Open
Source-Bewegung am nächsten steht.
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Recht | Lex Informatica | |
Rahmen | physikalisches Territorium | Netzwerk |
Inhalt | Vorschriften/Gerichtsurteile | Technische Fähigkeiten
Gewohnheitspraktiken |
Anpaßbare Regeln | Vertrag | Konfiguration |
Anpassungsverfahren | implizit (niedrige Kosten)
Standardformen (mittlere Kosten) individuelle Aushandlung (Hohe Kosten) |
Standardkonfiguration
Installierbare Konfiguration Benutzerauswahl |
Hauptsächliche
Durchsetzung |
Gericht | Automatisiert, Selbstausführend |
Quelle | Staat | Informatiker, Techno-Geeks |
Werte | "Verfassungstradition" | ??? |
Aber sicher werden nicht alle Möglichkeiten, die das Protokoll bietet, auch genutzt werden. Vielleicht implementiert der Apache-Server bestimmte Protokollelemente nicht, da sie sowieso keiner benutzt. Technische Fähigkeiten und Gewohnheitspraktiken also.
Meine erste Anregung also – Lex Informatica, und Sie selber sind Regulierer.
Hier ist die zweite Anregung, die ich Ihnen heute nahebringen möchte: Diese Werte des Cyberspace, der Lex Informatica, stehen hinter dem Erfolg des Internets, der Open Source-Bewegung.
Je klarer wir uns dieser bewußt werden, je deutlicher man sie herausschälen kann, desto besser. Für einen Dialog mit Juristen. Für die Lex Informatica. Und für Open Source und Cyberspace.
Ich habe versucht, Umrisse zwei solcher Werte zu skizzieren. Und Sie werden sehen, es klingt so gar nicht spektakulär, so neu. Genau das macht ja einen Wert aus, daß er implizit in den Menschen und ihren Tätigkeiten vorhanden ist.
Aber es ist gar nicht leicht, Selbstverständlichkeiten auf den Begriff, als Grundwert zu formulieren, explizit in Worte zu fassen.
Darin habe ich eine Regel gefunden, die diesen ersten Wert für deren Zwecke so faßt:
Lessig nennt dies "Open Forking"[5], also Offenheit des Codes, sich in beliebige Richtungen zu verzweigen.
Und dieser Wert ist auch im Internet zu finden, z.B. bei den Sourcen von HTML-Seiten, die beliebig angesehen, kopiert, modifiziert und weiterverwendet werden können.
Vielleicht ein alter Hut für gestandene Open-Sourcer. Aber gerade darum: ein Grundwert der Open Source.
Eine Bedingung für diesen Wert ist es aber zum Beispiel – das sprach Dirk Hohndel (SuSE) gestern nebenbei an –, daß zu einem 'genialen Code' auch eine 'anfängerverständliche Dokumentation, Kommentare' gehören. Je klarer der Code, desto mehr können ihn verzweigen, desto stärker kann dieser Wert durchgesetzt werden.
So Claus Kalle über die Arbeit der Internet-Gremien (Internet Engineering Task Force, IETF):
Und Kalle Dalheimer zum Projekt KDE:
Dahinter steckt ein ganz zentraler Wert der Open Source, des Cyberspace und vielleicht sogar für eine wie auch immer geartete <<Informationsgesellschaft>>:
Nicht durch akademischen Grad, Seniorität, lautes Mundwerk, nicht durch königliche Geburt, formale Verfahren, oder Wahlen wird man Projektleiter.
Jeder darf teilnehmen, mitmachen. Und die Autorität gewinnt man durch die funktionierende Implementation, durch "running code", als bester Entwickler.
Der Wert ist also, daß jeder – ungeachtet seines Standes – durch seine Arbeit an Reputation, an Autorität gewinnen kann. Die Offenheit, daß jeder einen Beitrag leisten kann, und daß er nur danach bewertet wird und Autorität, Vertrauenswürdigkeit erlangt.[6]
Ever the imperialist, ever the lawyer. Für die meisten Juristen – insbesondere deutsche – scheint es nur ein Regulierungssystem zu geben, nämlich das Recht.
Aber wie man gesehen hat, gibt es mit der Lex Informatica ein gleichrangiges Regulierungssystem. Sie besitzt Grundwerte, hat Verfahren und Regulierer.
Verfolgt man diesem Gedanken weiter, so muß das Verhältnis zwischen Cyberspace und Recht – und die Ökonomie als Dritten im Bunde – neu bestimmt, neu erstritten werden.
Offensichtlich werden so große Werte erzielt, die aber mit Geld nichts, oder doch praktisch nichts zu tun haben. Andererseits muß auch Linus Torvalds das Geld für seine Pizza von irgendwo und irgend jemand herbekommen.
In diesem ökonomischen Mikrokosmos führt also minimaler Einsatz von Ressourcen (Assistentengehalt, Transaktionskosten im Internet) zu einem maximalen Ergebnis. Im Gegensatz dazu entwickelt Microsoft als absoluter Marktführer und Quasi-Monopolist mit hohem Kapitaleinsatz Produkte, die in ihrer Qualität vermutlich sogar schlechter sind. Man kann sagen, daß dieses Entwicklungsmodell der Open Source-Bewegung auf alternative Entwicklungspfade in der Marktwirtschaft verweist und vielleicht deshalb von der Fachöffentlichkeit noch nicht zur Kenntnis genommen wird. Statt dessen ist diese Fachöffentlichkeit von Ökonomen und Juristen im Bündnis mit der deutschen und europäischen Politik dabei, die Entwicklungsstrategie von Microsoft & Co mit Hilfe des Urheberrechts zu verfestigen.
Das klassische Urheberrecht ist in seiner ökonomischen Wirkung ein temporäres Monopolrecht. Durch gezielte Wettbewerbsbeschränkungen, die dem Schöpfer geistiger Werke eingeräumt werden, will man Wettbewerb ermöglichen. Der europäische Gesetzgeber und in seinem Gefolge Deutschland haben schon früh die ökonomische Relevanz der Informatik mit ihren Produkten erkannt und entsprechende Regelungen erlassen: Eine Computerprogramm-Richtlinie; eine Vermietrechts-Richtlinie, Kabel- und Satelliten-Richtlinie, Schutzdauer-Richtlinie und Datenbank-Richtlinie; eine Richtlinie, die den Rahmen für das europäische Urheberrecht setzen will, ist in der Diskussion. Das ökonomische Modell dieser Konzepte unterstellt, daß Geist eine knappe Ressource ist, dessen Entfaltung durch besondere Wettbewerbsbeschränkungen geschützt werden muß. Im klassischen Konzept mußten geistige Werke eine bestimmte "Schöpfungshöhe" vorweisen können, um in den Genuß der urheberrechtlichen Monopolrechte zu kommen. Inzwischen ist dies Einschränkung weitgehend aufgegeben worden, insb. im sog. sui generis Schutz von Datenbanken, der durch das neue Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG) des Bundes schon in deutsches Recht umgesetzt wurde. Ein prinzipieller Unterschied zwischen einem Autor wie Goethe mit seinem Faust und einer Firma, die ein Telefonbuch herausgibt, wird nicht mehr gemacht. Diese Regelungen haben für das Internet – der Basisstruktur der Informationsgesellschaft – nachgerade absurde Konsequenzen: Fast jede Sammlung von Hyperlinks und die meisten Zusammenstellungen von Informationen aus Homepages unterstehen damit dem Schutzregime des seit 1. Januar 1998 geltenden Urheberrechts. Es gewährt dem Datenbankhersteller etwa ein 15 Jahre währendes Recht, die Datenbank zu verändern, zu vervielfältigen etc. Mir kommt es hier weniger auf den verfassungsrechtlichen Gehalt dieser Regularie an, denn man könnte mit guten Gründen einen Verstoß gegen die Informationsfreiheit annehmen. Wichtig ist mir der Hinweis auf das problematische ökonomische Modell, das diese Regularien abbilden. Urheberrechte sind geschichtlich entstanden aus dem stetigen Kampf der Schöpfer geistiger Werke gegen die Willkür des jeweiligen Souveräns. Autoren sollten ihre Rechte aus sich selbst erhalten und mit ihren Werken auch verdienen können. Am Ende dieses Kampfes stand 1883 die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst, die das Prinzip freien geistigen Schaffens weltweit legitimierte und ökonomisch hoffähig machte.
Die erwähnten Richtlinien und Gesetze haben nun diesen Ansatz nach der Formel Onlinerecht = Offlinerecht im großen und ganzen unverändert auf Software, Netze und Datenbanken übertragen. Es gibt jetzt aus der Sicht des Urheberrechts keinen prinzipiellen Unterschied mehr zwischen Goethes Faust, dem WINDOWS NT-Betriebssystem und einer strukturierten Linksammlung auf meiner Homepage. Vor einer solchen Entwicklung hatte der Supreme Court der Vereinigten Staaten in seiner berühmten "Feist-Entscheidung"[7] von 1991 noch gewarnt. Der Einsatz von noch soviel Kapital für die Entwicklung eines Produktes könne keine Rechtfertigung für die Begründung von Urheberrechten sein.
Die aktuelle Rechtsentwicklung in der Welt hat zwar diese Warnung außer acht gelassen, doch zeigt ein so hochrangiges Votum immerhin, daß auch andere Fachleute eine grundlegende systemische Fehlentwicklung befürchten. Dabei ist die ökonomische Rationalität der Supreme Court-Entscheidung offensichtlich. Der Wettbewerb um immer höhere Qualität muß nicht durch Urheberrechte geschützt werden. Im Gegenteil: Hohe Qualität wird durch Urheberrechte verhindert. Wo es unbillig zugeht, kann Lauterkeitsrecht oder irgendein anderes neues Rechtsgebiet Abhilfe schaffen. So hat es den Anschein, als würde der vorhandene europäische Regulierungsansatz die jetzt schon Starken begünstigen.
Man erkennt an diesem Beispiel, daß es sich bei den unterschiedlichen Entwicklungsstrategien von Open Source und beispielsweise Microsoft nicht um den allseits bekannten Kampf Marktwirtschaft gegen staatlich regulierte Wirtschaft handelt, denn beide Strategien können miteinander verbunden werden. Ob diese Verbindung die zukunftsweisende Variante ist, läßt sich gegenwärtig nicht beweisen. Ich neige dazu, sie zu bejahen: Denn die LINUX-Entwickler und viele andere moderne Unternehmen haben ein entscheidendes Moment der Informationsgesellschaft besser als andere verstanden und umgesetzt. Das Netz wird nicht nur zur Datenübertragung genutzt wie beim herkömmlichen Geschäftsverkehr, sondern seine dezentrale Struktur ist Moment der Produktion von Dienstleistungen selber. In diesem Sinne ist das Netz der Markt, ein Markt, den die vielen Menschen auf der Welt bilden. Natürlich wird dieser Markt wie andere auch ohne Regeln nicht funktionieren können.
Es gibt aber gute Gründe für die Annahme, daß klassische Regulierungsansätze dieser neuen Wirklichkeit nicht mehr gerecht werden. In der internationalen Diskussion ist es üblich geworden, die nötige andere Sicht durch den Begriff Internet Governance auszudrücken. Dieser Begriff betont die weichen Übergänge zwischen verschiedenen Regulierungstypen, sieht Selbstregulationsmechanismen und Lex Informatica vor und legt geringeren Wert auf rechtliche Regeln. Deutschland und die Europäische Union täten gut daran, diese Philosophie mindestens solange zu übernehmen, wie das Netz sich in der augenblicklichen Dynamik entwickelt. Hierfür gibt es nicht nur ökonomische Gründe – die Menschen, die schon in der Informationsgesellschaft angekommen sind, sind nicht mehr die gleichen, die die Industriegesellschaft am Laufen gehalten haben.
Was heißt dies alles zusammengefaßt:
Erstens:
Die Werte der Open Source-Bewegung haben sich deshalb durchgesetzt, weil sie eine adäquate Antwort auf die Organisation der von mir aus so zu nennenden Informationsgesellschaft sind. Open Source ist die richtige und zukunftweisende Antwort auf einen neuen Gesellschaftstyp.
Zweitens:
Wenn aber, wie wir behaupten, Open Source Pate stehen kann und soll für das Modell von Gesellschaft überhaupt, dann muß der kozeptionelle Rahmen der Betrachtung erweitert werden. Es geht nur auch um die Offenlegung von irgendwelchen Programmsourcen. Es geht um das Prinzip der Offenheit in modernen Demokratien insgesamt. Wieder kann man von Lessig lernen, was Offenheit in diesem weiten Sinne zumindest beinhalten muß:
Natürlich Open Source, oder Open Code, wie er es nennt.
Darüberhinaus aber:
In Deutschland sind wir noch Lichtjahre von einem solchen Ansatz entfernt. Es lohnt sich also, Lawrence Lessig im Berkman Center for Internet and Society der Harvard Law School einmal zu besuchen.
Lessig und wir haben ein weiteres Anliegen gemeinsam:
Manche Netzaktivisten, der frühe Barlow etwa[8], neigen dazu, die eigenen Positionen zu überschätzen. Keine noch so gute offen gelegte Software wird je in der Lage sein, die Unterschiede von arm und reich, von gerecht und ungerecht abzuschaffen. Immer muß der Schutz der Schwachen organisiert werden. Das müssen spezielle Agenten übernehmen. Es gibt viele gute Gründe, dem Staat, vor allem dem deutschen Staat insoweit eher zu mißtrauen. Falls wir aber zur Auffassung gelangen, daß manche Werte vom Staat am ehesten geschützt werden sollten, sollten wir nicht zögern, den Staat mit dem Schutz dieser Werte zu beauftragen.
Wir wissen jetzt genug, um eine Prognose zu wagen: Dieser Staat ist nicht mehr der alte Macho und Hierarch, dem unsere Eltern noch zugejubelt haben. Er kooperiert mit uns in einem Geflecht, für dessen Stabilität Informatiker und Techno-Geeks verantwortlich sind. Jurist, der ich nun einmal bin, träume ich seit Jahrzehnten davon, daß, es so gelingen möge, eine überkommene Weisheit jedenfalls ein wenig zu widerlegen:
[2] Reidenberg 1998. Die Tabelle ebd., S. 569, Übertragung ins Deutsch und Erweiterungen durch die Autoren.
[3] The Open Source Definition, http://www.opensource.org/osd.html, 15.7.1999 (Version 1.4)
[4] The Open Source Definition (V. 1.4), Artikel 6.
[5] Lessig 1999a, S. 9f.
[6] Lessig bezeichnet diesen Wert als "Universal Standing"; vgl. Lessig 1999a, S. 12f.
[7] Feist v. Rural Telephone Service, U.S. Supreme Court-Entscheidung v. 27.3.1991, 499 U.S. 340 (1991), http://laws.findlaw.com/US/499/340.html
[8]
Vgl. Barlows allgemein bekannte "Unabhängigkeitserklärung des
Cyberspace von 1996 und – immer noch bemerkenswert – die von Toffler u.a.
herausgegebene "Magna Charta des Wissens".