Diskussion:
Freie Software für alle?
Leitung: Tilman
Baumgärtel
Tilman Baumgärtel: Ich fand das sehr gut, daß ihr Vortrag auch einen praxisbezogenen Teil gehabt hat. Vielleicht fangen wir mal mit dem an, was Sie zum Schluß gesagt haben, daß es bei Ihnen an der TU eine entsprechende Initiative gibt. Ich denke, daß hier relativ viele Leute sitzen, die sehr gut mit Computern, mit Open Source-Software, mit Linux umgehen können und vielleicht Interesse haben, sich an so etwas zu beteiligen. Gibt es da eine Möglichkeit? Nazir Peroz: Jeder ist willkommen. Wir freuen uns, und vor allem auch die Länder, die diese Probleme haben. Jede Ressource ist eine wichtige Sache. Publikum: Ich kann das, was Herr Bingel über die Schulen sagt, nur bestätigen. Ich möchte das an einem kleinen Beispiel erläutern. Wir wurden vor eineinhalb Jahren von der Lina-Morgenstein-Gesamtschule hier in Berlin Kreuzberg gebeten, im Rahmen von Projekttagen zur Berufsorientierung aufzutreten. Tilman Baumgärtel: Können Sie kurz sagen wer 'wir' sind? Publikum: Wir sind eine Firma, Lettras-Informatik hier in Berlin. Und wir wurden gebeten, dort im Rahmen von Berufsorientierung an den Projekttagen mitzuwirken. Haben wir gemacht. Daraus entstand ein Projekt, in dem die Schüler bis zur zehnten Klasse, d.h. also im Alter zwischen zwölf und siebzehn, hergehen und mit einer Anschubfinanzierung der deutschen Kinder- und Jugendstiftung ein eigenes Internetcafé aufbauen. Mit zwei Besonderheiten, die Voraussetzung für das Gelingen sind: Das erste ist, daß die variablen Kosten an die Telekom irgendwie überwunden werden müssen. D.h., wir haben eine billige Standleitung gelegt. Und das zweite ist, daß die Lehrer nichts zu sagen haben. Dies haben wir erreicht, indem die Schüler eine Schülerfirma gründeten. Das ging mit der Anschubfinanzierung und funktioniert steuerrechtlich wie ein Verein. Und jetzt findet folgendes statt, daß die Lehrer heimlich zu Hause reihenweise anfangen, Linux zu lernen. Das Projekt geht inhaltlich im September los. Wir sind sehr gespannt. Auf einer der nächsten Veranstaltungen in diesem Kontext würde ich das gerne einmal gemeinsam mit den Schülern vorstellen, und vielleicht werden wir dann hier auch noch ziemlich viel Spaß haben. Das Problem bleibt natürlich, daß die Lehrer keine einfache Klientel sind, was das Internet anbelangt. Zum einen möchten sie immer alles umsonst und zum zweiten sind sie sehr beunruhigt, wenn eine Veranstaltung stattfindet, an deren Ende sie nicht Aufgaben verteilen dürfen oder etwas bewerten dürfen. Wir dachten, wir umgehen das Problem dadurch, daß wir die Schüler zu Subjekten machen und ... Ja, wie gesagt, in einem viertel bis halben Jahr können wir dann mehr darüber berichten. Wir sind gespannt. Tilman Baumgärtel: Herr Bingel, die Lehrer haben Probleme mit dem Internet? Möchten Sie dazu noch etwas sagen? Peter Bingel: Die Lehrer haben ja nicht mit dem Internet als solchem solche Probleme. Lehrer sind an sich ein schwieriges Volk. Ich bin seit 26 Jahren Lehrer und weiß, wovon ich rede. Ein Freund sagte neulich zu mir: 'Lehrer sind ein Volk, das sich nichts sagen läßt.' Das stimmt zum guten Teil. Und von daher ist es für sie natürlich auch schwierig, wenn jetzt andere kommen, wenn z.B. auch Schüler kommen. Ich habe etliche Mails von Schülern, die sagen: 'Hör mal, was soll ich machen? Ich weiß mittlerweile ja viel mehr als mein Lehrer. Ich möchte dem Linux nahebringen und werde gnadenlos untergebügelt. Wenn ich den Mund aufmache, dann schlägt sich das in den Noten nieder.' Das gibt es auch. Es gibt da so viele Widerstände und Schwierigkeiten, daß es wirklich die allererste Notwendigkeit überhaupt ist, die Lehrerschaft aufzuklären. Das ist das A und O. Und noch etwas möchte ich anfügen, nicht daß das mißverstanden worden ist: Ich sprach vorhin von dem Erkennen von Strukturen. Das kann man natürlich auch mit Windows-Produkten und Programmen genauso machen, theoretisch zumindest. Da ist kein Unterschied. Das Problem ist nur, daß in dieser CD, in der ja der Bildungsplan, den Microsoft gerne haben möchte, dargelegt wurde, dieses Erkennen von Strukturen nicht ein einziges Mal erwähnt worden ist, sondern daß es ausschließlich um die Bedienung von Programmen ging und was man ansonsten noch damit machen kann. Und diese Richtung, wenn die sich an öffentlichen Schulen bis zum zehnten Schuljahr breitmacht, dann ist das doch eine sehr interessante Sache, die ihre Auswirkungen haben wird, in irgendeinem Bereich wird das Auswirkungen haben. Publikum -- Edmund Humenberger: Ich war gestern bei einer Diskussion hier im Haus, wo jemand aus Tijuana, Mexiko, [gemeint ist Fran Ilich] berichtet hat, wie die dortige Situation an der Universität ist. Die haben definitiv einen Computer, der Anschluß ans Internet hat, und sie haben ein Buch zum Thema Unix. Jetzt ist folgende Situation eingetreten: Es gab eine Initiative aus den USA, um mehr Computer nach Mexiko zu bekommen, laut seiner Aussage. Und er hat gesagt, diese Spendenaktion hat darin geendet, daß diese 2005 Computer bei Beamten der Regierung gelandet sind, und bei den Bedürftigen, für die sie eigentlich gedacht worden sind, kein einziges Gerät gelandet ist. D.h., was er ausgedrückt hat, ist, daß in diesen Ländern, wo die Beamten selber unter wirtschaftlicher Not leiden, die Korruption ein massives Problem ist. Nazir Peroz: Es ist richtig. Ein Punkt ist, daß viele Regierungen der Entwicklungsländer korrupt sind. Zum Teil, was ich aus afrikanischen Ländern weiß, z.B. aus Kongo, Simbabwe, Kamerun, Ghana, haben die moderne technische Geräte, aber die können damit nichts anfangen. Die modernen Geräte werden in diesen Ländern angeschafft, damit sie es kühler in ihren Räumen haben. Das ist eine Tatsache. Nun die Frage, deswegen habe ich auch in meinem Beitrag versucht, diesem Begriff Wissen sehr viel Wert zu geben: es nutzt nichts, wenn man einen tollen Mercedes hat, aber keinen Führerschein und keine Straßen, oder wenn man ein tolles Buch in einer fremden Sprache besitzt. D.h., solche Probleme gibt es, aber es gibt auch andere Aktivitäten, gerade Mexico ist sehr weit fortgeschritten im Vergleich zu afrikanischen Ländern. Tilman Baumgärtel: Ich wundere mich immer, wenn Microsoft-Produkte mit Mercedesen verglichen werden, aber das nur am Rande. Ich würde gerne noch einmal nachhaken bei einer Sache, die Sie in ihrem Vortrag gesagt haben. Sie haben auf den Mangel an Netzwerkstrukturen gerade in Afrika hingewiesen. Es ist eine Parallele, die immer wieder gezogen wird, zwischen dem Internet und dem Buchdruck. Es wird gesagt, daß der Buchdruck so zur Verbreitung von universitärem, akademischem Wissen beigetragen hat, wie das Internet zur Verbreitung von Open Source-Software und auch zur Kollaboration an Open Source-Software. Heißt das dann nicht, daß bevor Open Source-Software, bevor Linux im großen Maße in solchen Länder eingesetzt wird, erstmal die technische Infrastruktur, die Leitungen, der Netzanschluß da sein muß? Nazir Peroz: Also, die Anschlüsse sind da. Bis 1992 war nur Südafrika und Ägypten angeschlossen. 1995 waren zwölf afrikanische Länder ans Netz angeschlossen. 1997 waren es 42. Und gestern habe ich im Netz geschaut, sind außer Somalia, fast alle afrikanischen Länder ans Netz angeschlossen. Aber angeschlossen sein heißt nicht, daß man dieses Problem kennt. Deswegen -- was auch Herr Mayor, der Leiter der UNESCO, sagte -- muß man wirklich bewußt zwischen Wissen und Information unterscheiden können. Informationen, die übertragen werden, vielleicht später durch Glasfasern, die alle afrikanischen Länder vernetzen, heißt nicht, daß die Leute an Wissen kommen. Wissen muß verstanden werden, verinnerlicht und begriffen werden. Publikum: Nochmal an die Lehrer und zu den Problemen mit der kommerziellen Software: Ich habe auch am Anfang immer gedacht, Software hat hauptsächlich was mit Programmschreiben zu tun. Bis mich dann die geballte Marktkraft von Microsoft auch mal am Rande tangiert hat und ich gesehen habe, daß das sehr viel mehr mit Marketing und Journalismus und rechtlichen Aspekten zu tun hat. Inwieweit sehen Sie da in der Schule die Möglichkeit, jetzt auch mal eine komplete Produktionskette zu diskutieren? Was in einer Firma wie Microsoft vorgeht, vom Entwurf eines Betriebssystemes bis es dann über die Benutzer hereinbricht? Das scheint mir von der gesellschaftlichen Seite das Defizit zu sein, was die Informatiker eigentlich viel zu spät mitbekommen und an den Universitäten auch nicht lernen, bis sie dann zum allerersten Mal vor einem NT-Rechner sitzen müßen und sich fragen: 'Wie konnte dieses Ding überhaupt auf meinen Schreibtisch kommen?' Das ist eine Sache, die vielleicht mehr in den gesellschaftlichen Bereich gehört, aber von der Praxis scheint mir das wesentlich bedeutender zu sein, als welchen Desktop ich nehme. Das ist ein Defizit, das die Schulen generell haben. Daß sie niemandem richtig die Produktionskette vom Entwurf bis zum Vertrieb eines Produktes erklären können. Peter Bingel: Ich bin ja hier als Lehrer gefragt. Sonst würde ich dazu sagen: 'Ich bin kein Wirtschaftskundelehrer.' Tilman Baumgärtel: Aber ist das nicht auch eine Frage für Informatiklehrer? Peter Bingel: Es ist so, daß diese Fächer wie Wirtschaftslehre natürlich sehr, sehr unbeliebt sind. Das ist die eine Sache. Und auf der anderen Seite ist es so, daß wir -- das weiß ich zufällig -- im Lehrplan diese Dinge haben, daß also diese Produktionsketten beschrieben werden, daß mit den Kindern Planspiele gemacht werden, wie man ein Produkt aufzieht, daß dargestellt wird, wie etwas verkauft werden kann. Es gibt ja auch schon Schülerfirmen, nicht nur hier in Berlin, auch anderswo. Also so etwas gibt es. Allerdings ist nicht das Marketing als solches oder der Verkauf als solches das entscheidende, sondern das entscheidende ist, denke ich, das politische Bewußtsein und das fehlt. Wenn ich nämlich das Ganze nur wertneutral rüberbringe: 'Das ist eben so, und das wird so gemacht', dann bringe ich nicht mit rüber, was ich damit anstellen kann. Denn wirtschaftliche Macht ist immer auch politische Macht. Und wer die wirtschaftlichen Inhalte bestimmt, der bestimmt auch immer die politischen Inhalte zumindest mit. Publikum: Ich muß doch erst einmal erkennen, daß ich es mit Marketing zu tun habe, und nicht mit einer Sachaussage. Das lernt man auch nicht. Publikum: Es fällt natürlich hier auf, daß es bei großen Informatikveranstaltungen immer einen sehr geringen Frauenanteil gibt. Und wer sich mit dem ersten Semester Informatik beschäftigt, weiß, daß auch dort sehr wenig Frauen anfangen, daß es generell bei Computern und Frauen ein großes Defizit in Deutschland gibt. Ein Grund, den ich einmal gehört habe, und der mir auch sehr plausibel schien, war, daß der erste Kontakt, den man mit dem Computer hat, genau zu einer Zeit stattfindet, im Bereich der Pubertät meistens, wo gerade das Rollenbewußtsein besonders ausgeprägt wird. Eine Anwort, die es darauf gab, war, daß man viel, viel früher, als wir das momentan machen, die Schüler sich mit dem Computer auseinandersetzen müssen, bedeutet: schon in der Grundschule die Kinder an die Computer ranlassen, auch aus anderen Gründen. Was meinen Sie, wo ist das Alter, in dem man anfangen sollte, den Computer als Teil des Unterrichts zu verwenden? Tilman Baumgärtel: Ich bin ganz froh, daß die Frage mit den Frauen gestellt worden ist. Ich wäre noch froher, wenn wir hier vorne eine Frau sitzen hätten, die sie beantworten könnte. Es liegt nicht am mangelden Wollen. Es liegt nicht daran, daß da nicht gesucht worden wäre. Es hat eine Referentin gegeben, die hat leider kurzfristig abgesagt. Ich weiß aber auch, daß das ein Defizit sowohl von dem Panel, wie von der ganzen Veranstaltung ist. Wollen Sie noch was zu der Altersfrage sagen? Peter Bingel: Es ist so, daß Computer heute auch schon vermehrt an Grundschulen eingesetzt werden. Und wenn wir daran denken, daß diese Kinder sechs Jahre alt sind, wenn sie diese Geräte dann sehen, falls sie sie nicht vorher schon zu Hause gesehen haben, dann muß man sagen dieses Argument: 'Schülerinnen sehen das Ding zum ersten mal, wenn sie in der Pubertät sind', ist mindestens fünf Jahre alt. Das gilt heute nicht mehr. Publikum: Noch eine Frage an Herrn Peroz: Gibt es eine Kontaktadresse zu dem Arbeitskreis an der technischen Universität, eine Mailingliste oder eine Webpage? Nazir
Peroz: Ich bin
am Fachbereich Informatik der TU, und da bin ich bekannt. [AG-Computer
Information Transfer (AG-CIT)]
(Transkript
Katja Pratschke)
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