Die Maus.
Von der elektrischen zur taktischen Feuerleitung.
"The fully augmented or
command display does not
tell the operator what
is happening but instead
tells him what to do."
Charles R.Kelley
Die Maus, die heute an jedem Computer mit der Tastatur um die schnellste und einfachste Bedienung konkurriert, droht, vor allem wegen ihrer flachen Lernkurve, als Eingabestandard von graphischen Benutzeroberflächen die Tastatur immer mehr zu verdrängen. Die Prinzipien des Zeigens und Auswählens von Texten, Bildern oder gar Räumen auf Bildflächen gelten manchmal sogar für Interaktion in virtuellen Realitäten. Die Maus als Modell oder als Standard für Interaktivität am Computer verdient schon darum eine archäologische Analyse der historischen Bedingungen ihrer Möglichkeit.
Gegen Ende der fünfziger Jahre war es das Stanford Research Institute
(SRI) in Menlo Park, Kalifornien, welches interaktive Medialität für
jedermann erforschte und dabei die Maus auf den Schreibtisch zauberte.
Bildschirmorientierte Anwendungen von Computern bedurfte aber keiner Improvisation.
In einer historischen Abfolge der Computerschnittstellen waren es spätestens
radarvernetzte Verteidigungssysteme, wie Whirlwind und SAGE, die seit den
50er Jahren nicht mehr Fernschreiber, sondern Braunsche Röhren als
Ausgabegeräte an Computer angeschlossen hatten. Die Kathodenstrahlröhren
bei Whirlwind zeigten den ersten symbolischen Kode auf dem Bildschirm:
die Buchstaben T und F, T wie Target und F wie Fighter. Noch lange bevor
Alan Kay bei Xerox PARC den Bildschirm in Fenster aufteilte und die ersten
graphischen Benutzerschnittstellen entstanden, beschäftigte sich das
Augmented Human Intellect Center des SRI mit der Manipulation von Texten
am Bildschirm. Damals wie heute, nannten die Forscher den Eingabemodus
mit Kontrollgeräten am Bildschirm, wohl aus Verlegenheit, Interaktivität.
Denn die Geräte der Eingabe, ebenso wie die Bildschirme dazu,
mußten nicht neu erfunden werden. Die Vorentscheidung, welche Art
von Eingabegeräten und wie diese benutzt werden, war bereits gefallen.
Die wichtigsten Eingabegeräte, Joystick, Lightpen und Maus, verweisen
im Wettrennen am SRI mit der geringsten Fehlerrate und der höchsten
Trefferquote von Texten am Bildschirm auf militärisch-strategische
Dispositive[1].
Der Lightpen, ein Gerät, das am Bildschirm einen markierten Bereich abgreift, hat seinen Vorläufer in der sogenannten Lightgun. Das Projekt Whirlwind, entwickelt ab 1945 am Massachusetts Institute of Technology für die taktische Kontrolle von Kriegsgebieten, brachte die Lightgun als Gerät zur Selektion von diskreten Symbolen auf dem Bildschirm hervor. Die Entscheidung, das Projekt Whirlwind als ein Prototyp des Nachfolgers SAGE abzuschliessen, machte aus der Lightgun ein Gerät zur taktischen Echt-Zeit-Kontrolle eines radarvernetzten Luftraums[2].
Der Joystick, der am SRI mit der Maus konkurrierte und dann viel später bei Videospielen in den 80er Jahren zum Eingabestandard avancierte, ist nicht weniger militärisch. Er dient bis heute der Fernsteuerung von Lenkwaffen. Die ersten fernsteuerbaren Waffen für bewegliche Punktziele plante der deutsche Ingenieur Herbert Wagner im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums direkt nach Kriegsausbruch 1939. Steuerknüppel lenkten seit 1942 die flugzeugartigen Gleitbomben entweder auf Sicht aus dem Cockpit des Trägerflugzeugs und mit Hilfe einer Leuchtmarkierung auf der Waffe, oder mit einer Fernsehkamera im Kopf der Bombe und durch eine Bildübertragung zum nachlenkenden Schützen[3]. Max Kramer baute im Auftrag der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt, nachdem er eine nachlenkbare Fallbombe entwickelt hatte, an einer ferngelenkten Luftkampfrakete. Die Abfangjäger der Wehrmacht sollten die neuen Lenkraketen mit Eigenantrieb gegen die Übermacht eines alliierten Bombergeschwaders führen, ohne dabei in die gefährliche Reichweite der Bordkanonen der Bomber zu kommen. Die große Flughöhe machte die Raketen, die vom Trägerflugzeug gestartet wurden, nicht vom Boden, sondern nur vom Cockpit des Jägers aus lenkbar. Der Abfangpilot mußte mit dem Lenkknüppel (vgl. Abb.1), nach Abschuß der Rakete, nur noch zwei Dimensionen eines kartesischen Lenksystems nachkorrigieren[4].
Der Joystick der Forscher am SRI kontrollierte aber nicht eine Rakete, sondern, genauso wie die erfundene Maus, eine Markierung auf dem Bildschirm. Im Gegensatz zu der variablen Bildübertragung aus der Kamera im Kopf einer Rakete, besitzt der Monitor ein feststehendes Bild in einem zweidimensionalen Koordinatensystem. Die Zeigegeräte Maus und Joystick verschieben den Cursor je nach Bewegung relativ zur aktuellen Position auf einer absoluten Fläche. Die technischen Voraussetzungen zur Steuerung von Koordinaten auf Monitoren lassen sich an der historischen Abfolge der Flugabwehrsysteme ablesen.
Mechanische und optische Flugabwehrkomponenten des Ersten Weltkrieges
forderten von den Soldaten noch körperlichen und intellektuellen Einsatz.
Anstrengende und fehleranfällige Bedienung von immer schwereren Geschützen
hinkten bald den immer beweglicheren Zielen hinterher. Bis 1940 war es
selbstverständlich, daß Flakgeschütze mit Tabellen und
Handeinstellungen von einer ganzen Mannschaft bedient wurden. Servomechanische
Kontrolle und Bewegungsverstärkung versprachen bessere Flugabwehrsysteme.
Um die Beschleunigung und gesteigerte Beweglichkeit von Flugzielen zu Beginn
des Zweiten Weltkriegs zu meistern, rüsteten die Amerikaner ihre Flakgeschütze
mit elektrischen und computergestützten Steuersystemen auf.
Der junge Ingenieur David B. Parkinson an den Bell Laboratories entwickelte
das erste elektrische Feuerleitsystem. Das National Defense Research Committee
-Abteilung D-2, Fire-Control- beauftragte noch im gleichen Jahr die Bell
Labs mit der Entwicklung und Western Electric mit der Produktion eines
Prototyps. Im selben Monat der ersten Tests und kurz nach dem japanischen
Bombenangriff auf Pearl Harbor erfolgte der Eintritt der USA in den Weltkrieg.
Den Erfolg der Strategie zeigten die amerikanischen Flugabwehrsysteme spätestens
in der Zweiten Schlacht um England, als sie die meisten V-1-Flugbomben,
die sogenannten Wunderwaffen der deutschen Wehrmacht, gegen Großbritannien
abschossen[5].
Die neue Feuerleitung optimierte die Trefferrate um eine ganze Dekade durch einfachere Bedienung und rechnergestützte Feuerkraft. Aus den elektrischen Signalen der optischen Feindverfolgung -die Eingabe erfolgte über manuelle Drehbewegungen von Rädern (vgl. Abb.2)- extrapolierte ein Analogcomputer die zukünftige Position aus der 'getrackten' Bahn des Flugkörpers.
Die Bell Laboratories kannten mehrere Darstellungsformen in Radarsystemen, von denen zwei hier wichtig sind[7]. Das eine Radarsystem war ein Verfolgungsradar. In der gleichen Bedienungsart mit Handrädern aus der optischen Zielverfolgung konnte der Schütze jetzt auf dem Radarschirm zwei unterschiedlich hohe Echos des gleichen Ziels aufeinander abgleichen, um den Radarstrahl direkt auf das Ziel zeigen zu lassen. Der Schütze hatte die Aufgabe, den Bahnverlauf des Flugobjekts zur Vorhersage zu glätten, indem er die Signale des Schirms aufeinander abstimmte. Ein anderes Radarsystem, das von R.M. Page und den Naval Research Laboratories entwickelt wurde, gab die Radarechos in einer planaren Darstellung wieder. Die kartenähnliche Ansicht eines Luft- oder Bodenareals in einem zweidimensionalen Koordinatensystem half ursprünglich entweder bei der Navigation in Luftkämpfen und Bombenangriffen oder als Suchradar mit großer Reichweite und in Frühwarnsystemen. Das Suchradar der Luftverteidigung zeigt die Radarechos von Zielobjekten wie Sternschnuppen radial um das Zentrum des dunklen Schirms an. Der Nachkrieg integrierte dieses Radarsystem in die Flugabwehr der Army und Navy zur Akquisition von möglichen Zielen.
Kurz vor dem Koreakrieg stellten die Bell Laboratories der Army ein vollintegriertes computer- und radargestütztes Flugabwehrsystem zur Verfügung[8].
Die Amerikaner hatten die schlimmsten Verluste ihrer Flotte durch japanische Kamikaze-Angriffe noch nicht vergessen, als in den Nachkriegsjahren neue Feuerleitsysteme das Problem der taktischen Kontrolle des Luftraums auch in der Navy lösten. Die entstehenden Verteidigungssysteme ließen den befehlshabenden Offizieren, wie in der Army, nur noch eine Aufgabe übrig: die taktische Entscheidung, welche Zielobjekte als gefährlich aufzufassen sind. Nach der Entscheidung, ob ein Flugkörper eine Bedrohung darstellt, und durch eine Selektion auf dem Radarschirm mit Kontrollgeräten, lief die Verfolgung der Ziele bis zum Beschuß innerhalb der Reichweite des Kanonenfeuers vollautomatisch. Heute sind ein paar seltene Schiffe der Flotte noch mit manuellen Kontrollgeräte zur Zielakquisition auf Radarschirmen ausgestattet.
Die Automatisierung der klassischen Fronten, Boden, Luft und Wasser, läßt die einzige heutige Kriegsfront -nach einem Wort von Paul Virilio- nur im orbitalem Raum verlaufen. Die Geräte im Weltall, die im wesentlichen die geographischen Mächteverhältnisse und deren krisenartige Verschiebungen überwachen und gegebenenfalls einen Eingriff koordinieren können, entlarven den kommerzialisierten Computer und seine Kontrollgeräte als ein Abfallprodukt längst vergangener Kriegsstrategien. Den Erfindern der Maus, Douglas C. Engelbart und William K. English, haben wir es zu verdanken, daß wir solche Eingabegeräte nicht mehr an taktischen Feuerleitsystemen, sondern an jedem Computer vorfinden, mit denen wir Texte, Ikone und anderes am Bildschirm auswählen können. Es war eben genau William K. English, der, und zwar kurz bevor das Stanford Research Institute sich überhaupt mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine beschäftigte, fünf Jahre als Offizier in der U.S. Navy diente.
Die Leistung der Forscher in Menlo Park bestand also eher darin, die Technologie der Zielerfassung auf Radarschirmen und die dazu entwickelten militärischen Kontrollgeräte aus einer integrierten Geräteumgebung abzukoppeln und auf das Problem von bildschirmorientierten Computeranwendungen zu übertragen. Die Feindakquisition fand sich als Maus auf einem normalen Schreibtisch wieder. Wir dürfen uns erinnern, daß die Flakscheinwerfer des ersten Weltkrieges die strategische Funktion hatten, das Ziel zu illuminieren und die Verfolgung und den Beschuß einzuleiten[9]. Die Funktion der optischen Beleuchtung bestand darin, das Ziel zum Abschuß zu erfassen. Abgesehen also von der Ersetzung des bewaffneten Auges durch die Radartechnologie, dürfen wir dann wohl heute den Cursor aus der Luftverteidigung als eine Wiederkehr des Suchscheinwerfers auf höchster taktischer Befehlsebene feiern.
Eine Erfindung der Forscher am SRI aber bleibt noch übrig. Engelbart
und English ergänzten ihre Kontrollgeräte noch um Druckknöpfe,
deren Genealogie nicht weniger eine militärische ist. Der zweite Weltkrieg,
der im Gegensatz zum ersten Weltkrieg kein Stellungskrieg war, mußte
mobile Fronten schnell koordinieren. Aus diesem Grund erstellte die Nachrichtentruppe
der Amerikaner 1940 ein Pflichtenheft mit den Anforderungen an eine mobile
Bodenkommunikation. Wieder waren es die Bell Laboratories, die kraft ihrer
Erfahrung mit zivilen Radiogeräten nun auch den besonderen militärischen
Zweck von portablen Radiogeräten erfüllen sollten. Aufgrund der
Wunschliste des Signal Corps führten die Bell Labs den Push-Button
ein. Kurze Zeit favorisierte das Signal Corps diese Kommunikationsstrategie
dann sogar als 'Push-Button-Warfare'[10].
Über einhunderttausend Geräte mit Push-Buttons fanden dann
an den Kriegsfronten in der leichten und gepanzerten Artillerie ihren Einsatz[11].
Der Push-Button, der die komplizierten Drehknöpfe an den Radios ablöste,
hielt nicht nur mechanischen Schlägen unter Gefechtsbedingungen stand,
er beschleunigte auch den Befehlsfluß, weil der Funker auf die Feinabstimmung
von Frequenzen weder Zeit noch Aufmerksamkeit verschwenden mußte.
Mit der schnellen Erlernbarkeit des Umschaltens von voreingestellten Funkfrequenzen
ließen sich, in der schnellen Abfolge der Kriegsproduktion, Geräteserien,
genauso wie die Funker an der Front selber, auswechseln. Push-Buttons virtualisierten
sich nicht nur als Push- und Radio-Buttons in graphischen Benutzeroberflächen,
sondern sie bereicherten auch die Tastatur um die heutigen Funktionstasten
(vgl. Abb.4). Die Forscher des SRI jedenfalls kombinierten den Button noch
mit der Maus.
Die praktischen Buttons und die taktischen Kontrollgeräte kannten
also lange vor Computeranwendern den Imperativ und die Eleganz von Geräteschnittstellen
überhaupt, sei es als interaktive Echt-Zeit-Kontrolle oder als graphische
Oberfläche: die Anpassung an einen Befehlsfluß.
[1]vgl.
dazu: English, W.K. et al. "Display-Selection Techniques for Text Manipulation",
in: IEEE Transactions on Human Factors in Electronics, Vol. 8, Nr. 1, 1967,
S.5-15
[2]Everett,
Robert R. "Whirlwind", in: Metropolis, N. et al. "A History of Computing
in the Twentieth Century", 1980, S.375
[3]Hermann,
Joachim "Die ferngelenkte Gleitbombe Hs 293" aus: Benecke, Theodor et al.
"Flugkörper und Lenkraketen", 1987, S.106ff
[4]Schliephake,
Hanfried "Die gelenkte Jägerrakete X 4" aus: Benecke, Theodor et al.,
a.a.O., S.166ff
[5]Fagen,
M.D. (Hrsg.) "A History of Engineering and Science in the Bell System",
1978, S.148
[6]Wiener,
Norbert "Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen
und in der Maschine", 1992, S.30
[7]Fagen,
M.D., a.a.O., S.49
[8]Fagen,
M.D., a.a.O., S.360ff
[9]
vgl. dazu Kittler, F.A. "Eine Kurzgeschichte des Scheinwerfers..." in:
Wetzel, M. et al. (Hrsg.), "Der Entzug der Bilder", 1994, S. 183ff
[10]Thompson,
G. R. et al. "The Signal Corps: The Test", 1957, S.70
[11]Hilliard,
V. "Radio Telephones Guide the 'Blitz Buggies'", in: Bell Telephone Magazine
Nr.23, 1944, S.52ff