Mikro
e.V. Verein zur Förderung von Medienkulturen in Berlin
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mikro.lounge
#5: geschlecht.im.netz
<www.mikro-berlin.org/Events/19980701.html> WMF, Johannisstr. 20, Berlin-Mitte
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english translation |
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Abstract
Eine wachsende Schar von Frauen reklamieren in den letzten Jahren die Netze für sich und beschäftigen sich mit den Auswirkungen der neuen Informationstechnologien auf unserer aller Leben. Das Internet, neue Medien, moderne Reproduktions- technologien usw. beeinflußen nicht nur das Leben von Frauen, sondern verändern die Geschlechterbeziehungen allgemein. Das Versprechen - oder die Drohung - dass in den virtuellen Welten Geschlechterrollen unwichtig werden, da man sie nach Belieben wechseln kann, muss näher untersucht werden. Was bedeutet diese Behauptung in einem Medium, das trotz wachsender Nutzerinnenzahlen immer noch stark männlich geprägt ist und als dessen wichtigster Mythos immer noch der Hacker gilt, von dem man sich die weibliche Version gar nicht vorstellen kann? Welche Weiblichkeitsbilder können in einem Medium, in dem Frauen hauptsächlich als nacktes Fleisch vorkommen, entwickelt werden? Trotz aller Kritik an bestehenden Strukturen gilt es auch, die Möglichkeiten zur Aktion nicht aus dem Blick verlieren. Wir wollen einige Beispiele von weiblichen Wirklichkeitsbildern im Netz vorstellen, ihren Bezug zur Neuordung der Geschlechter- verhältnisse herausarbeiten, bestehende feministische Bewegungen und Theorien im Netz auf ihre Relevanz und Nützlichkeit abgeklopfen und zukünftige Entwicklungen aufzeigen. mikro.lounge #5: geschlecht.im.netz Zu Beginn des Cyberspace-Zeitalters Anfang der 90er Jahre beherrschte der Diskurs der Veränderungen und Rekonfigurationen des Individuums unter den Bedingungen der virtuellen Existenz die Diskussion. Vor allem in den USA vertraten einige Theoretiker die Ansicht, dass der physische Körper im Netz an Bedeutung verlieren würde. Der Cyberspace stellte ein Bühne für das von Geschlecht, Rasse und Klasse befreite Individuum dar, das im virtuellen Raum die vollkommenen Bedingungen für seine absolute Selbstverwirklichung vorfand. Vor allem für Frauen und ethnische Minderheiten sollte das endlich ein Ende der Diskriminierungen und Benachteiligungen bedeuten. Diese Sicht steht und fällt jedoch mit ihrer Prämisse, dass die Körperkonfigurationen im Cyberspace/ Internet diejenigen des realen Raums aufheben würden. Das wollten wir uns bezügen der Situation von Frauen im Internet genauer anschauen: Wie sieht die reale Situation von Frauen in verschiedenen Bereichen des Netzes aus, was passiert dort und welche Strategien der Veränderung werden ausprobiert. Dabei wurde ein Bogen von der technischen Entwicklung über feministische Theorie zu konkreten Projekten geschlagen. Heidi Schelhowe, Informatikerin an der Humboldt-Universität, berichtete von der Situation in der Informatik. Obwohl die meisten Computerarbeitsplätze von Frauen besetzt sind, nimmt die Zahl der Informatikerinnen und Programmiererinnen seit Anfang der 80er Jahre ab. Frauen nutzen Computer, bestimmen jedoch nicht deren Arbeitsweisen. Technik ist in unserer Kultur immer noch eine männliche Domäne. Es gilt, diese Entwicklung durch Erziehung und gesellschaftliche Umstrukturierung umzukehren, da der Zugang zu gesellschaft- lich positiv besetzten Feldern, wie Technik es unzweifelhaft ist, auch ein Zugang zu mehr Macht ist. In den virtuellen textbasierten Räume, genannt MOOs und MUDs, treffen sich zum Teil hunderte von Spielern, um Abenteuer zu erleben, Rätsel zu lösen und nicht zuletzt um sich zu unterhalten. Dabei konstruiert sich jeder registrierte Nutzer eine virtuelle Persönlichkeit, die wenig oder gar nichts mit seiner/iher Alltagspersona zu tun haben muss. Es gibt Dutzende von Geschlechtern und die Beschreibung des Äußeren ist nur durch die eigene Fantasie beschränkt. Evelyn Teutsch, Studentin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, hat ein solches MOO aufgebaut und dabei auch untersucht, wie Geschlecht in einem angeblich geschlechtslosen Raum funktioniert. Die Frage, welches Geschlecht man im "real life" hat, spielt dabei im MOO eine große Rolle. Aus - begründeter - Angst vor Belästigung nehmen Frauen in MOOs in der Regel neutrale oder männliche Charaktere an; die weiblichen Charaktere sind in der Regel Männer, die sich dadurch mehr Aufmerksamkeit erhoffen. Dabei kommt es aber kaum zu einer Umkehrung von Geschlechterstereotypen, eher im Gegenteil - die von Männern gespielten Frauen übertreiben die von der Gesellschaft als weiblich benannten Eigenschaften. Eine differenzierte Beobachtung sozialer Interaktion in MOOs und MUDs lässt also keineswegs den Schluss zu, dass im virtuellen Raum Geschlecht überwunden wird und eine Befreiung von Normen der realen Welt stattfindet, sondern dass dieser auf die gleiche Weise an Gesellschaft und ihre Struktur gebunden ist, wie der Rest unseres Lebens. In den letzten Jahren haben einige neuere feministische Theoretikerinnen auch in einer breiteren Öffentlichkeit Aufsehen erregt, indem sie die aktuelle technische Entwicklung nicht nur kritisierten, sondern auch als befreiendes Element untersuchten. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Donna Haraway und Sadie Plant. Katja Diefenbach und Sabeth Buchmann haben einen kritischen Blick auf zwei Texte der beiden geworfen. Sie sehen in den beiden Theorien einen gefährlichen Technikdeterminismus am Werk, der die neoliberalen Tendenzen in der heutigen Arbeitswelt zur Selbstausbeutung und Domestizierung - vor allem von Frauen - unterstützen kann. Vor allem Sadie Plants Ausführungen übernehmen zum Teil frauenfeindliche Zuschreibungen aus der männlichen Literatur und verkehren sie dann unkritisch ins Positive. Plant begreift sich selbst als Cyberfeministin. Dieser Begriff wird jedoch auch von einer ganz anderen Gruppe von Frauen benutzt, die mit theoretischen Konzepten spielerisch und ironisch umgehen wollen. Cornelia Sollfrank, Künstlerin aus Hamburg und Mitglied der cyberfeministischen Gruppe 'Old Boys Network', begreift Cyberfeminismus als Strategie, neue politische Aktionsformen auszuprobieren, die die Grenze zur künstlerischen Praxis überschreiten. Cyber- feminismus entzieht sich dabei jeder Definition, indem das aktionistische Element der Einzelnen betont wird: "Der Cyberfeminismus ist der, den ich selbst entwickle", wie Sollfrank sagt. Unser letzter Gast an diesem Abend war Diana McCarty, die zusammen mit Kathy Rae Huffman die Mailingliste FACES ins Leben gerufen hat. FACES ist eine Mailingliste für Frauen, die dazu dient, andere Frauen, die in den neuen Medien arbeiten, kennenzulernen und miteinander in Kontakt zu bringen. Die Erfahrung zeigte, dass auch im Netz, wo prinzipiell alle den gleichen Zugang haben, die Stimmen von Frauen seltener und weniger deutlich zu hören waren. Es ist gelungen, mit der Liste eine Zusammenarbeit von Frauen, die sonst nichts von einander erfahren hätten, miteinander bekannt zu machen, so dass viele neue Projekte sich aus der Liste heraus entwickeln konnten. [V.D./E.N.] |