Mikro e.V. Verein zur Förderung von Medienkulturen in Berlin 
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Programm 

Lesung 
Agentur Bilwet, Elektronische Einsamkeit. Was kommt, wenn der Spaß aufhört?, Köln: supposé Verlag, 1998 [120 S., ISBN 3-932513-04-05], supposé 03 <www.suppose.de>. Agentur Bilwet <thing.desk.nl/bilwet> 
Lesung von Geert Lovink, mit einem Live-Inter- view von Tilman Baumgärtel (Transkript s.u.) 

Video 
Hacking in Progress '97 (28 min, D, 1997), Dokumentarvideo von Sabine Helmers und Armin Haase 

Tele 5 Schlaufen, Videos von Hans-Christian Dany, Hamburg 

Audio 
Trax tv., sound service mit Martin Conrads, Ulrich Gutmair, convex tv. Berlin <www.art-bag.net/convextv> 

Link 
RealVideo-Aufzeichnung der Diskussion: <www.mediaweb-tv.de/mikro1/> 

Pressestimme 
Tagesspiegel, 4. März 1998   
Geert Lovink eröffnet Cyber-Salon in Berlin  
 

Hybrid Media Lounge #1 
Elektronische Einsamkeit 
<www.mikro-berlin.org/Events/19980304.html> 
WMF, Johannisstr. 19, Berlin-Mitte 
Mittwoch, 4. März 1998, 20:00 Uhr
 
Modem - ISDN 

english translation

Zu Beginn der ersten mikro.lounge (die hier noch hybrid media lounge hieß) stellten Sabine Helmers, Netz-Ethnographin, und Armin Haase, Mitbegründer der Internationalen Stadt, ihr Dokumentarvideo Hacking in Progress '97 (28 min., D, 1997) über ein internationales Hackertreffen vor, das im August 1997 in der Nähe von Amsterdam stattfand. Rund 1.500 Computermenschen reisten mit Sack und Pack, Rechner und Netzadapter für drei Tage zu einem abgelegenen Zeltplatz und stöpselten ihre Computer zum weltgrößten nicht-militärischen Ethernet unter freiem Himmel zusammen.  

 Geert Lovink, Medienaktivist, Amsterdam, las aus dem soeben beim supposé Verlag, Köln erschienenen Buch der Agentur Bilwet, Elektronische Einsamkeit. Was kommt, wenn der Spaß aufhört? Es geht hier u.a. um „Das Zeitalter der guten Absichten", „Boneware und Body Culture", „Genetischer Sozialismus – Ein Aufruf zur Fügsamkeit", „Die Homeopathie des Bösen – The Coming Man Revisited", „Zeitgenössischer Nihilismus – Über die organisierte Unschuld" und „Formen des Verfalls – Ratschläge nach Festende". Im Anschluss an die Lesung wurde Geert Lovink von Tilman Baumgärtel interviewt  (s.u.). 

Vor, während und nach Lesung und Interview zeigte Hans- Christian Dany, Hamburg, Künstler und Autor u.a. UTV, TELE5, Club Coco, Videos, die Tele 5 Schlaufen. Trax tv., ein sound service mit Martin Conrads, Ulrich Gutmair, convex tv. Berlin ließ die Lounge angemessen ausklingen.   [I.A.] 

convex tv. 

 

Transkript der Diskussion 

Gespräch Geert Lovink / Tilman Baumgärtel 
Hybrid Media Lounge #1: Elektronische Einsamkeit 
WMF, Johannisstr. 19, Berlin-Mitte, Mittwoch, 4. März 1998, 20:00 Uhr 

Tilman Baumgärtel: Agentur Bilwet besteht aus fünf Leuten. Mich würde interessieren, wie man zu fünft ein Buch schreibt. 

Geert Lovink: Wir sitzen nicht zu fünft an einem Computer, aber immer zu zweit. Allein kann man nicht eine Agentur Bilwet sein. Dann ist man alleine. Meistens sind wir zu zweit, und dann kommt noch ein Dritter dazu. Das ist relativ einfach. Und zu zweit machts so richtig Spass! Da kommt man auf Gedanken, die man nie hätte, wenn man es alleine versuchen würde. Das ist das Gute daran. Da kommt immer was abwegiges, etwas, was du alleine nie schreiben würdest. Und das gilt für alle Mitglieder. Eine Art von neuer Autorenschaft. 

Tilman Baumgärtel: Mir ist bei dem Vortrag aufgefallen, daß man Bruchstücke aus dem Text relativ bruchlos aneinandersetzen kann, dass es keine Richtung von A nach B gibt, sondern dass man den Text auch ganz neu montieren kann. 

Geert Lovink: Das hängt damit zusammen, daß wir den Blickwinkel verschoben haben von diesen „unidentified theoretical objects", die es im Medienarchiv gab, wo es um alle möglichen Formen von imaginären Formen von Medien ging – um souveräne Medien, vage Medien, Datendandy etc – also imaginäre Konstrukte, hin zu einer Gefühlslage, die ein bißchen düsterer geworden ist. Wir nennen das heikelen/heiteren Nihilismus. Ein großer Brei. Man könnte das vielleicht als Aphorismen bezeichnen. Mit diesen Aphorismen versuchen wir, die Stimmung der Anfang / Mitte 90er Jahre zu begreifen. Darum geht es uns vor allem. Zu versuchen, bevor es zu einer Kritik kommt, dass wir da neue Begriffe oder bestimmte Bilder herausfiltern. 

Gast: Also, ich kenne Sie nicht, würde aber gerne wissen, ob das ihre eigenen Erfahrungen sind, also diese Vereinsamung. 

Geert Lovink: Ja, schon [Gelächter]. Also ich selber bin nicht so häufig zu Hause [Gelächter]. Eigentlich Lex, er ist immer zu Hause und er hat in den letzten zwei Jahren immer mehr Einfluss genommen, sich sehr befasst mit dieser sehr langweiligen, dunklen Seite des normalen Alltags in Holland. Wo übrigens gesagt wird, dass alle Leute zufrieden sind - es gibt kein Land auf der Welt, wo es so viele glückliche Menschen gibt wie in Holland. Wir finden das sehr traurig [Gelächter]. Wir sind aber keine Wissenschaftler. Wir sind nicht so drauf, dass wir das als Studienobjekt sehen. Ich hab damit auch zu tun, mit meiner Mutter oder Schwester oder Freunden, natürlich. 

Tilman Baumgärtel: Ist dieses Feiern des Scheitern und des Versagens nicht auch ein Stück weit ein bestimmtes Intellektuellen-Selbstbild, jenseits der Gesellschaft zu stehen, nicht so richtig reinzukommen, und deswegen dann auch dieses Defizit hochzuhalten? 

Geert Lovink: Nein. Die Prozentzahl von Leuten, die finanziell Erfolg haben, dann auch finanziell, die ist doch ganz klein. Das wissen doch alle. Ich glaube, wenn man einfach in die Außenbezirke geht, sich nicht so sehr in den Metropolen aufhält, sondern in den Kleinstädten, da, wo die vielen Leute wohnen, dann kann man solche Erfahrungen machen. Und das Scheitern ist als Modell in vielen Geräten eingebaut. Vom rapiden Verschleiß – das sieht man schon am Potsdamer Platz, der wird in 20 Jahren abgerissen und dann kommt da was Neues hin. So wird das gebaut, so werden die Sachen im Moment produziert. Das ist nicht nur eine Gefühlslage.  

Hans Christian Dany: Ich war ein bisschen verwundert, denn das kam mir irgendwie ein bisschen vertraut vor, dieser ganze kulturpessimistische Brei, von wegen wir verlieren den Kontakt zu den Dingen, alles geht uns verloren, und die Realität. Das ist ziemlicher Sülz. Und ich wundere mich. Alle hören sich das nett an und goutieren das dann noch mit Applaus, und ich find das ziemlich hart. Jetzt kommt zwar mal kurz die Kritik am Verschleiß, aber ausgeblendet bleiben die ökonomischen Mechanismen. Und wir sind alle ganz furchtbar entfremdet – also ich wundere mich nur. [Applaus] 

Geert Lovink: Bei meiner Arbeit geht es teilweise auch um Strategien. Ich glaube schon, dass es im Moment auch wichtig ist, ein Stück weit die Tradition oder die Gefühlslage des negativen Denkens weiter fortzusetzen, weil die andere Option wäre die, die wir vor allem in Holland sehen. Da wird alles gemessen an einer einzigen Frage: Trägt es etwas bei? Bringt es etwas? Wieviel kostet es? Wieviel Gewinn bringt es mir? Wir leben unter einem ziemlich rigorosen Diktat des positiven Denkens, eine Art Pragmatismus, der besonders stark ist. Vielleicht ist es eine Reaktion darauf. In Deutschland ist die Stimmungslage vielleicht ein bisschen anders. Viel düsterer, natürlich. [Gelächter] Aber bei uns muss alles heiter sein. Da kommt es vielleicht her.  

Gast: Inwieweit werden denn diese alten Strukturen, also die, die Du als Aufgabe / Aufgeben beschreibst, ersetzt? Kommunikationslosigkeit? An die Stelle tritt doch auch etwas Neues, z.B. durch das Netz und durch die Technologie? Das habe ich ein bisschen vermisst. 

Geert Lovink: Ja, aber da muss ich auch mal sagen: die Agentur Bilwet hat sich noch nie so richtig mit Internet befasst [Gelächter] – klar, das ist einfach so – ich vielleicht als Privatperson, aber nicht die Gruppe. Wir kommunizieren auch nicht über e-mail. Wir schreiben nach wie vor Briefe. In dem Sinne gehört das einfach nicht zu unserem Alltag. Für die Gruppe. Für mich als Privatperson ist das anders. Aber die Gruppe selber – wir haben uns einfach nie darauf eingelassen. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, diesen Utopien auf eine andere Art etwas entgegenzusetzen. Natürlich kann man diese Cyber-Ideologien kritisieren, und das machen wir auch, aber ich denke manchmal, das ist noch Ideologiekritik. Aber es gibt viele Leute, die sich damit nicht so richtig befassen, diese Cyber-Ideologie hat also nur eine begrenzte Auswirkung. Aber das Arbeiten mit Computern, Netzen und Medien als solchen - Telearbeit, Teleexistenz --, das ist schon ein verbreitetes Phänomen. Das sollte man zunächst aber nicht gleichsetzen mit Internet. Das gehört eher zum Arbeitsalltag. Un diese Arbeit mit Technologie sollte man nicht gleichsetzen mit Internet. [Gelächter] 

Dieser Kulturpessimusmus... – wir versuchen einfach, eine Art von negativem Denken der kritischen Theorie fortzusetzen, oder neu zu interpretieren, neu zu erfinden. Es geht dabei nicht darum, die politischen Strategien, die nach wie vor gefragt sind, zu kritisieren, oder nicht dazu beizutragen. Es ist einfach ein kleiner Versuch, real existierende Sachen zunächst mal in Worte zu fassen. 

Gast: Ihr wollt aber sicherlich nicht in dieser Bewußtwerdungsphase steckenbleiben 

Geert Lovink: Nein, natürlich nicht. Im Moment beschäftigen wir uns mit Tourismus. Es ist ein Essay in Vorbereitung über die heile Welt von IKEA, die a eigentlich eine ziemlich schreckliche Auffassung des Alltags in sich birgt. Diese heile Welt, diese gewissermaßen für alle doch erreichbare mittelmäßige Utopie. Das sieht man vor allem in Osteuropa. Da sieht man, was die Ideale des Westen eigentlich sind. Wir versuchen, diese Ideale zu beschreiben. Ja, und ausserdem befassen wir uns mit Osteuropa, und in letzter Zeit vor allem auch mit der Türkei. Und ein bisschen weiter. 

Tilman Baumgärtel: Mein Eindruck ist eigentlich nicht, dass diese Ideale – IKEA, Mittelklasseexistenz – für immer größere Bevölkerungsgruppen erreichbar sind, sondern eher im Gegenteil.  

Geert Lovink: Nein, darum geht es nicht! Es geht nicht darum, dass die Ideale erreichbar sind, es geht darum, dass die Leute darauf hinarbeiten. Es handelt sich um einen unausgesprochenen Konsens. Das ist etwas Erstrebenswertes für viele Leute. Es ist nicht die Frage, ob sie es schaffen, ob sie es erreichen. Ich glaube auch, dass es einen Zerfall gibt. Für viele wird das erstmal nicht erreichbar sein.  

Tilman Baumgärtel: Eine Sache, die mich noch interessieren würde: Ich habe vorhin gesagt, Du bist auch als Netzwerker tätig, der verschiedene Szenen, z.B. Ost-West, zusammengebracht hat – was ist das für eine Existenz, als Vermittler dazwischenzustehen, zwischen verschiedenen Szenen, Kulturen, Ländern zu fungieren? Was hat da selbst für einen Mehrwert von? 

Geert Lovink: Naja. Mehrwert? Die Schattenseiten..... Es ist eine merkwürdige Art von nomadischem Leben, das nicht besonders erstrebenswert ist. Glaube ich. 

Tilman Baumgärtel: Warum machst Du das dann? 

Geert Lovink: Naja. Zunächst hat das damit zu tun, dass wir mit der Agentur Bilwet bzw. mit den Sachen, die uns interessieren, in Holland keine Existenz aufbauen konnten. Deswegen ist es eigentlich immer internationaler geworden. An manchen Orten haben wir gesehen, dass es ein Publikum dafür gibt, z.B. hier in Berlin, und in Osteuropa. Das wird dann schon ein bisschen verführerisch. Wenn sich zuhause nur ein kleiner Kreis mit Theorie befaßt, und diese Gruppe ist einfach extrem klein, dann wird man einfach schnell international. Dann geht es von selber. So ist es gelaufen.  

Tilman Baumgärtel: Wie hält man das eigentlich physisch aus? Ich habe im letzten Jahr eine Phase gehabt, in der ich zwei Wochen lang intensives Konferenz-Hopping betrieben habe, und Du machst das ja praktisch das ganze Jahr hindurch. Wie schaffst Du das? 

Geert Lovink: Nein, nein. So ist es nicht. Zunächst bin ich manchmal unterwegs, aber das beste ist, länger irgendwo zu bleiben, und das mache ich auch. Ich hasse es, nur ein paar Tage irgendwo zu bleiben. Immer wieder bleibe ich auch ein paar Monate. Das ist gut. Ja.... man wird auch krank... was soll ich dazu sagen... das ist nicht so gut. Dann überlegt man sich es wieder. Und ein paar Monate später fängts wieder an. Ich versuche, es in den Griff zu bekommen.  

Tilman Baumgärtel: Eine andere Sache: Was ich immer ganz interessant fand an Deinen Texten, war, daß Du immer auch eine Perspektive von Aussen auf die deutsche Medienszene oder die deutsche Medientheorieszene hast. Du hast relativ viel über diese 80er-Jahre Medienphilosophen, Kittler, Bolz usw, geschrieben. Was ich interessant fand war, dass Du das mit 1989, dem Mauerbau – sorry, Mauerfall – zusammengebracht hast. Kannst Du dazu noch was sagen? 

Geert Lovink: Ich fühle mich als Aussenstehender. Aber das ist jetzt nicht mehr ganz so der Fall. Seit zwei, drei Jahren habe ich auch viel auf Deutsch geschrieben, auch zusammen mit Pit Schultz, das wurde dann nicht mehr übersetzt, und dann geht’s auf einmal ziemlich schnell, dann wird’s auf einmal ganz anders. Ich habe zweimal in Berlin gewohnt, 1983 und 1990. Dieser fremde Blick ist langsam weggegangen. Im Moment stehe ich eigentlich ganz anders dadrin. Aber nach wie vor denke ich, dass es absolut notwendig ist, dass mehr Menschen sich auf Englisch äußern, und versuchen, die Theorie zu vermitteln. Das wird einfach nicht genug gemacht. Deswegen habe ich es auch gemacht, weil ich mich immer gewundert haben, warum die Leute das nicht selber machen. Aber naja, der Sprachraum hier ist groß genug.  

Tilman Baumgärtel: Ich habe Dich ein paarmal sagen gehört, dass Du gerne Deutscher wärst? Wieso? 

Geert Lovink: Ohja, super. Wahldeutscher. Nur, weil es diesen traditionellen Hass in Holland gibt, den Deutschen gegenüber, da macht man sich sehr unbeliebt, wenn man sowas sagt. [allgemeine Erheiterung] 

Tilman Baumgärtel: Vielen Dank, Geert Lovink. 

[Transkript: I.A.]