Mikro e.V. Verein zur Förderung von Medienkulturen in Berlin 
KONTAKT: info@mikro-berlin.org
 
tel: 0177 225 37 97, fax: 030 44 34 18 12  
 
mikro.termine  
mikro.self  
mikro.linx  

mikro.mail  
mikro.home  
 

David Hudson
mikro
 
 
Berlin, Berlin. Den Berlinern, die offen zugeben, daß sie nach vollzogenem Regierungsumzug wahrscheinlich das Wort Berlin nicht mehr werden hören können, muss man vergeben. Die Stadt der Zukunft. Zentrum eines neuen, dynamischen Europa, das sich den durch die Einführung der einheitlichen Währung revitalisierten Marktkräften gänzlich öffnet. Eingezwängt zwischen Dönerbuden und Spielhallen auf fast allen Straßen oder auch als schnell errichtete Inseln in den U-Bahnstationen, überall dienen Kiosks als verstreute Mini-Billboards und verkünden die billigen Sensationen einer Stadt in Bewegung. 

Das Wort "Berlin" hat in diesen Tagen einen ganz besonderen Klang, dem auch amerikanische Zeitschriften von Wired bis zu The New Yorker nicht widerstehen können. Während die Stadt sich ihr Herz herausreißt, um es dann umso rasender wiedereinzusetzen, betrachten Architekten Berlin als eine Art internationales Laboratorium, in dem sie sich gegenseitig mit unerwarteten Kombinationen von Radikalität und Funktionalität zu übertreffen suchen. Während Wired dem Potsdamer Platz eine aufklappbare Doppelseite in der Mitte des Heftes widmet, berichtet die Zeitschrift Architectural Record ausführlich über Daniel Libeskinds kontroverses Jüdisches Museum. 

Andrew Piper macht sogar in einer Kolummne im New Yorker online-Magazin FEED den Hype selbst zum Thema: "Herauszufinden, wofür Berlin steht – Technoutopie oder postmoderne Metropole, um nur zwei Möglichkeiten zu nennen – wird schnell zu einer eigenen Disziplin." Während man auf eine – schon lange überfällige – Neuauflage von Wenders’ sentimentalen und meditativen "Himmel über Berlin" wartete, kam bereits der Film mit dem bezeichnenden Titel "Lola rennt" ins Kino – mit Lolas rotem Haarschopf und den schnellen Absätzen. 

Lolas rasender, geografisch zwar nicht ganz korrekter aber gut gedrehter Laufschritt durch die Stadt fängt vielleicht am treffendsten die Stimmung ein, die in Berlin im Moment herrscht. Noch 1987 feierte Berlin sein 750-jähriges Bestehen so düster und vorhersagbar, wie man es von einer schizoiden Stadt nicht anders erwarten konnte. Die Spannung eines Lebens an der Trennlinie einer zweigeteilten Welt, die über die Jahre zu einem angenehmen Hintergrundgeräusch geworden war, an das man sich gewöhnt hatte, löste sich zwei Jahre später mit dem Mauerfall. Nach dem Ende der Pattsituation der Supermächte schien die Zukunft offenzustehen. Während all der Jahre, in denen sich die Regierung beeilte, die alte Hauptstadt wieder für sich zu beanspruchen, schien es, als wäre noch Zeit.

Doch plötzlich ist es 1999. Die Zukunft ist fast schon hier und Berlin findet sich unversehens wieder in einem Wettrennen gegen die Zeit. Der neue Kanzler taucht immer regelmäßiger auf und wartet ungeduldig auf den Einzug. Nach einem Jahrzehnt der Versprechungen, der wilden Hoffnungen, der nachdenklichen Debatten über die Vergangenheit Berlins und der anhaltenden Tagträumereien über die Zukunft heißt es nun plötzlich „jetzt oder nie".

Aber ungefähr vor anderthalb Jahren wurde einer Gruppe von Leuten, die in Berlin lebten und arbeiteten, und sich auch bereits untereinander kannten, klar, dass hier etwas fehlte. Was bedeutet die Zukunft einer Stadt ohne eine lebendige Neue-Medien-Szene? Es darf bezweifelt werden, dass mikro e.V. ein ganzes Jahr lang der Beantwortung dieser Frage nachgegangen ist. Und doch: Das Fehlen einer erkennbaren Szene mit einem Gravitationszentrum oder etwas typisch Berlinischen erwies sich in frühen Gesprächen als eine der vielen Motivationen für die Gründung eines Vereins – wenn dieser auch nur dazu hätte dienen sollen, zu zeigen, dass sich eine solche Szene zusammentrommeln ließe.

Die Selbstdefinition von mikro klingt ein wenig wie eine Flucht nach vorne: „mikro e.V. ist eine neue Berliner Organisation zur Förderung von Medienkulturen, eine offene Plattform für die Initiierung und Realisierung von Projekten, Diskussionen, Veranstaltungen, Ausstellungen, Publikationen und anderen Aktivitäten." Was hier nicht gesagt wird, ist, dass das Ziel von mikro eigentlich mit dem von Berlin verbunden ist: die Schaffung einer Identität aus heterogenen Elementen. Eben eine Identität mit Charakter.

Genauso wie Berlin ein Konglomerat mehrerer unzusammenhängender Dörfer ist, die sich eher zufällig in der gleichen Gegend befanden, ist mikro ein Zusammenschluss unterschiedlicher Persönlichkeiten, die sich zwar (mehr oder minder gut) kannten, deren Wege sich aber nur ab und zu kreuzten, oft auf Konferenzen oder anderen Veranstaltungen ausserhalb Berlins. Und so definiert sich auch das Netzwerk, das mikro zusammenbringen will.

Während grob gesagt die „alten Medien" in Hamburg konzentriert sind, die Finanzwelt in Frankfurt und Technologien in und um München herum angesiedelt sind, gibt es in Deutschland keinen einzigen Ort, an dem alle Elemente der Neuen Medien zusammenkommen. Berlin wäre natürlich gerne dieser Ort – wie auch andere Städte und Bundesländer –, aber wollte man eine Übersicht über all die Einzelprojekte machen, würde sich schnell herausstellen, dass diese nur weiträumig verteilt und fragmentiert existieren.

Die letzten zwölf monatlichen mikro.lounges waren jeweils Erfahrungen der besonderen Art. Zwar fokussiert jede mikro.lounge auf ein eigenes Thema, aber Hauptziel einer jeden Lounge ist sich gegenseitig anzuregen, sich einander vorzustellen und Verbindungen auf lokalem Niveau zu schaffen. Die Gründungs- mitglieder von mikro, die natürlich auch den Hype um die virtuellen Gemeinschaften miterlebt haben, deren Erwartungen aber vielleicht gerade dadurch herunter- geschraubt wurden, verstehen vielleicht besser als jede Wirtschaftskammer oder jeder Minister, wie wichtig es ist, Leute face-to-face in einem realen Raum zusammen- zubringen.

Der Raum, das WMF, ist in gewisser Weise ein idealer Ausgangspunkt für das flüchtige, nicht zu definierende Selbstverständnis Berlins in Bezug auf Neue Medien. Das WMF ist natürlich ein Club und somit ist Berlins Reputation für die lebendisten Nächte in Deutschland gut repräsentiert. Der Club ist mit Resopal/Holzpaneele von purem DDR Retro-Chic dekoriert und erinnert einen daran, dass man sich in Berlin am östlichsten Punkt des Westens befindet.

Es mag nicht unbedingt geplant gewesen sein, dass die Internationale Stadt am ersten mikro Abend vertreten war, aber es war passend.

Die Umstände, unter denen sich die Internationale Stadt (IS) 1997 auflöste, sind an dieser Stelle nicht wirklich wichtig. Und doch: Was zählte, war die Tatsache, dass die IS zu einem Träger eines lokalen Selbstverständnisses geworden war, das mikro zum Zeitpunkt der ersten mikro.lounge erst zu entdecken und zu formen begann. Die grundlegende Idee hinter der IS, trotz all ihrer „real life" events, der Ausstellungen, Partys usw., war eine Abbildung Berlins als einer Stadt von Bits, die zwischen den IS-Servern herumschwirrten. Bei mikro dagegen legt man Wert darauf, „echte" Menschen zusammenzubringen, die zufällig auch eine Website haben.

Die Staffelübergabe von der IS zu mikro steht, gewollt oder ungewollt, für eine grundlegende Veränderung hinsichtlich der Haltungen, wie sie bisher von online-Veteranen in Bezug auf Neue Medien eingenommen wurden. Nachdem sich die Rhetorik eines proto-utopischen Cyberspace in Luft aufgelöst hatte, war das, was übrigblieb, nachdem sich der Dampf und die heisse Luft verzogen hatten – ein Werkzeug. Ein durchaus interessantes Werkzeug, eines, das benutzt werden konnte für organisatorische Zwecke, Aktivismus, Kunst, Unterhaltung und Wirtschaft; ein Instrument und nicht ein Ort – und schon garnicht ein Ersatz für die Plauderei im Realraum. 

Ebenso passend an diesem Abend war die Lesung von Geert Lovink, die wahrlich nicht zu einem Werbefeldzug für die Neuen Medien wurde – eher im Gegenteil. Das Thema „Elektronische Einsamkeit", so der Titel von Adilknos neuestem Buch, richtete den Blick auf die Trümmer, die der Verlust des Glaubens an den Cyberspace zurückgelassen hat. Im Gegensatz zu unzähligen, auf dem Höhepunkt des Internet-Hypes abgehaltenen Konferenzen, auf denen Referenten die Liturgie des Paradigmenwechsels gepredigt hatten, zog dieser Text das Publikum so herunter, dass es sich genötigt fühlte, Lovink aufzumuntern. mikro hatte einen guten Anfang gemacht.

Lovink war einer der ersten außerstädtischen Gäste, die zu den mikro-Aktivitäten eingeladen wurden. Eine hermetisch abgeschlossene Szene ist selbst für die, die dazugehören, nicht viel wert – Kreuzungen sind oft die interessantesten Punkte auf einer Karte.

Eines der interessantesten Beispiele für mikros Reichweite in sehr entlegene Gebiete waren sicherlich die net.radiodays, fünf an der Zahl, die zu nicht weniger als einem Sommerfestival wurden, mit Kochsessions, Sponsoren und einem ausgefeilten Netzwerk von Kooperationen auf lokalem wie auch auf internationalem Niveau. Netzradio-Sender, Produzenten und Künstler waren für Workshops, Vorträge und Partys aus Budapest und London, Sydney und Ljubljana, Riga und Tokyo nach Berlin angereist. Wie Martin Conrads von dem Berliner Netzradiokollektiv convex tv. bemerkte, war es der "on site" Aspekt, der die Veranstaltung zu einer anregenden Woche für ein weites Netzwerk werden ließ, das vorher nur virtuell auf der Xchange Mailingliste, die sich dem online broadcasting widmet, zusammengekommen war.

Doch das ambitionierteste Projekt von mikro ist die „Wizards of OS" Konferenz im Juli 1999, die Informatiker und Medientheoretiker, Hacker, Programmierer und Endnutzer im Haus der Kulturen der Welt zusammenbringen wird, um über die technologischen und gesellschaftlichen Implikationen von Betriebssystemen und den Aufstieg der Open Source Bewegung zu diskutieren – und vielleicht auch an einer Linux-Installations Party teilzunehmen. 

Allein schon die Diversität der Themen, die mikro seit dem ersten Abend im März 1998 angesprochen hat, ist bemerkenswert. Wie auf den folgenden Seiten dokumentiert, stellen digitale Technologien nicht nur gegenüber versteinerten / verknöcherten Medienstrukturen eine Herausforderung dar, sondern auch hinsichtlich vorgefasster Begriffe von Privatheit, Unterhaltung, Geschlecht, Arbeit, Eigentum, Community, Politik – und auch, natürlich, hinsichtlich „Berlin".